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Im Test: The Town of Light

In der Toskana 1943. Wir erkunden eine verlassene Ruine eines Gebäudekomplexes und durchleben in Rückblenden das tragische Schicksal von Renée, die als Jugendliche in die psychiatrische Klinik Volterra zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eingewiesen wird. Von der Gesellschaft verhasst, von Pflegern gedemütigt und gequält und in der inneren Hölle allein gelassen erhalten wir einen Einblick, wie menschenfeindlich der Aufenthalt für mehrere hundert größtenteils Heranwachsende eingepfercht in der erst 1978 geschlossenen Nervenheilanstalt war, weil sie aufgrund ihrer Taten nicht in das heile Gesellschaftsbild passten.

Das Spiel erzählt Renées Geschichte in Kapiteln. Wir erfahren über die Bindung zu ihrer Mutter und zu ihrer Puppe Charlotte, später findet sie in Amara eine Freundin, die ihr schnell näher steht als alles andere. Die im Stil einer Graphic Novel visualisierten Zwischensequenzen lassen uns in ihrer Intensität häufig den Atem stocken. Der pointiert eingesetzte Soundtrack steuert das seinige dazu bei. Die deutschen Stimmen werden von Pandorya und Gronkh gesprochen. Auch wenn man merkt, dass hier wenig Erfahrungen vorliegen, besteht hier durchaus Potential und nach kurzer Eingewöhnung hört man den beiden gern zu. Einige Male werfen wir einen Blick in Renées Akte und dürfen in Dialogoptionen ohne Zeitdruck dem jungen Mädchen etwa offen sagen, dass sie ihre eigenen Gedanken betrügen oder ihr Sicherheit geben und sie bekräftigen. Habt ihr den Beginn von Firewatch gespielt, könnt ihr die Intensivität dieser kleinen Sequenzen abschätzen. Zwar läuft alles auf ein Ende hinaus, ab der Hälfte des Spiels gibt es jedoch zwei Abzweigungen, die dahin führen.

 

Die Geschichte und die gruselige Stimmung sind es, die den Psycho-Thriller so intensiv gestalten. Wir durchlaufen die verlassenen Räume der Abteilung für halbwache Geisteskranke während uns die Schreie der Vergangenheit verfolgen, immer wieder blitzen uns Erinnerungsfetzen dargestellt durch schwarz/weiß-Zeichnungen entgegen. Die wenigen Lichtblicke im Spiel sind herzerwärmend. So ist es in den Waschräumen unsere Aufgabe, erst das Wasser aufzudrehen und dann zu erhitzen, um einen leidenschaftlichen Moment inmitten des Horrors nachzustellen, der wenige Augenblicke später im Keim erstickt wird.

The Town of Light ist ein Walking Simulator im wahrsten Sinne des Begriffes. Ihr lauft verschieden Punkte in und um Volterra ab. Wir erkunden jede Ecke des schaurigen Anwesens, von den Untersuchungsräumen über den Park bis hin zu der Abteilung für halbwache Geisteskranke. Je nach unserer Position in der Geschichte, sind uns andere Räumlichkeiten zugänglich. Das Ziel ist stets zum nächsten Story-relevanten Ort zu laufen. Das macht das Gameplay sehr eintönig und man verschenkt so einiges an Potential die eindringliche Geschichte durch eigenes Zutun noch intensiver und spielerisch lohnenswert zu gestalten.

 

Erkunden wir die zum jeweiligen Kapitel zugänglichen Räume, werden wir mit Bildern und Dokumenten belohnt. Erstere fügen unserer Zeitlinie ein weiteres Puzzlestück hinzu. Hier erfahren wir in einem Graphic Novel-Band die Vorgeschichte Renées und die erörtern die Gründe, die zur Einweisung führten. Die Dokumente erzählen andere kleine Geschichten von Mitinsassen. Beide Elemente passen gut in den Rhythmus des Spiels und fügen sich homogen ein.

Der Wiederspielwert wird durch die Sammelobjekte und die leicht verzweigte Story erhöht. Mit knapp dreieinhalb Stunden hat das Spiel eine vergleichsweise geringe Länge für ein Videospiel, selbst man für teilweise etwas braucht um den Weg zu finden, trotz Hilfsmittel wie feste Übersichtskarten und Tipp via Touchpad. Das Gefühl der Spielzeitstreckung kommt dafür nicht auf und wir halten den Umfang für ausreichend für die Geschichte, die das Spiel erzählen möchte.

Visuell überzeugt das Spiel durch seine Effekte, Schnitte und Rückblenden, die Optik der Spielwelt und die Darstellung von Figuren ist allerdings nicht zeitgemäß. Erkunden wir den Park, ploppen ständig halbe Wälder in’s Bild, die Texturen und Objekte innerhalb von Volterra sehen fransig, kahl und matschig aus. Die Menschen sehen aus wie Knetfiguren. Da sind wir von anderen Walking Simulatoren wie Everybody’s Gone To The Rapture oder Firewatch deutlich mehr gewohnt, allerdings dürfte sich das Budget von The Town of Light etwas geringer bemessen haben.

Das komplette Spiel im XT Mood Play

Fazit

The Town of Light ist eines der intensivsten Erlebnisse des Jahres. Mit schonungsloser Offenheit erzählt das italienischen Entwicklerstudio LKA.it Renées Geschichte mit allen Hoffnungen, Rückschlägen, Ängsten und Bindungen. Genau wie sie werden wir mit den quälenden Bildern und Tönen allein gelassen. Nicht nur die Geschichte, auch spielerisch und visuell führt uns das Spiel einige Jahre zurück. Recht zeitgemäß ist The Town of Light nicht. Hier könnte mit einer Remastered Edition in einigen Monaten bis Jahren vor allem auch spielerisch einiges aufgewertet werden. Man könnte argumentieren, dass die Hilflosigkeit die Figuren so auf den Spieler übergeht, sind es aber nicht genau die Momente, in den wir spielerisch etwas Einfluss nehmen können, die uns im Gedächtnis bleiben, siehe Heavy Rain? Wer mit der veralteten Technik keine Probleme hat und dafür empfänglich ist, unfassbares Leid vermittelt zu bekommen, der sollte The Town of Light unbedingt spielen. Falls ihr auf der Suche seid, nach einem ähnlich intensiven Film mit gleicher Thematik, können wir Martin Scorseses Shutter Island empfehlen.

Spieletitel: The Town of Light

Genre: Horror-Adventure

Veröffentlichungsdatum: 26.02.2016

Plattformen: PC | PlayStation 4 | Xbox One | 

Entwickler: LKA

Publisher: THQ Nordic


This game was provided by the publisher for review purposes, check our review policy for details. We took the screenshots off of our Complete Walkthrough video.

Patrick

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