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Im Test: Letters of War

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Wood Cabin Games will mit Letters of War ein ähnliches Erlebnis wie Valiant Hearts bieten. Dieses ambitionierte Ziel kann das kleine Indie-Studio nicht erreichen.

Letters of War von Wood Cabin Games aus Kasachstan und Großbritannien erzählt die Geschichte einer britischen Familie während des Zweiten Weltkriegs, die auf wahren Begebenheiten basieren soll. Das Spiel wird größtenteils in der 2D-Perspektive dargestellt und wechselt dabei zwischen den Perspektiven des Tischlers Liam und seiner Tochter Rosie. Während wir mit Rosie einen Talisman für ihren Vater basteln (Schildkröte, Bär und Katze stehen zur Wahl), einen Pudding backen oder eine verletzte Taube verarzten, erleben wir in der Rolle von Liam die Landung der Alliierten in Gela (Sizilien), eine der Schlachten um Monte Cassino und eine weitere Landung in der Normandie am D-Day. Während die junge Familie inkl. dem wohl nach dem britischen Premierminister benannten Kater Chamberlain um ihn bangt, kümmert sich Veteran Liam um die jüngeren Rekruten an der Front. Die Dialoge sind dabei nicht nur reichlich klischeebeladen, sie sind oftmals generisch und ab und an mit Rechtschreibfehlern gespickt. Sinnbildlich hierfür ist eine Szene, in der Liam mit einem Kameraden minutenlang stupide durch blühende Felder läuft, um plötzlich stehen zu bleiben und sich gegenseitig in einer Monotonie zu erzählen, welch gute Freunde sie sind, dass man froh darüber ist, die Dialogzeilen mit der Leertaste überspringen zu können. Viele der Dialoge sind so hölzern, dass sie glatt von einem KI-Bot geschrieben worden sein könnten. Mit einem Controller kommt man übrigens nicht sehr weit in diesem Spiel, denn spätestens als wir im nahezu eins zu eins aus dem Vorbild Valiant Hearts: The Great War kopierten Trainingsabschnitt erstmals eine Granate werfen müssen, ist eine Tastatur und etwas Fingerakrobatik erforderlich, um der ungewöhnlichen und unveränderbarem Tastenbelegung zu folgen.

An spielerischer Abwechslung mangelt es kaum, denn in einem klar von Sam Mendes fantastischem Film 1917 inspirierten Abschnitt, in dem wir als Duo hinter feindlichen Linien US-General George S. Patton von einem groß angelegten abhalten sollen, um nicht in eine Falle zu tappen, schießen im Panzer mehrere Häuser ab, um einen Scharfschützen auszuschalten. Später erwehren wir uns mit dem Bordgeschütz eines Flugzeugs feindlichen Jägern und infiltrieren das Haus des Kommandanten eines französischen Kriegsgefangenenlagers und suchen dort an Gemälden nach einem Code, um den Tresor zur Freiheit öffnen zu können. Zu oft rennen wir allerdings in endlos wirkenden Sequenzen von einer Bildschirmseite zur anderen durch die kahle Prärie, während wir Artilleriegranaten ausweichen. Und ja, ihr merkt es vielleicht schon, der Protagonist wird in diesem Spiel rasend schnell vom unbescholtenen Tischler, der gerade noch mit seiner Tochter ein Vogelhäuschen befestigt hat, zum unaufhaltsamen Action-Helden, was nicht so recht in die authentische Geschichte, die das Spiel erzählen will, passt. Nach einer Schlacht in Monte Cassino landet Liam auf dem Berggipfel und findet dort Zuflucht in einer Hütte. Hier müssen wir in einer Reihe von Geschicklichkeitstests und Kombinationsrätsel recht schnell für Wärme und Verpflegung sorgen, was im ersten Moment den bisherigen Spielverlauf etwas auflockert.

Danach betritt allerdings ein deutscher Soldat die Hütte, der im Spiel auf den Namen Friedemann oder auch Frideman hört und zuvor als Professor an einer Münchner Hochschule tätig war. Er selbst halte natürlich rein gar nichts von diesen an der Macht befindlichen Tyrannen und Aggressoren und deren Rassenideologie würde ihn anwidern. Nach einem kurzen Exkurs in die Familiengeschichte des Mannes, dessen Bruder als Kriegsverweigerer wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und seine Familie in ein Lager gesteckt wurde, bedankt sich Liam auch schon bei ihm dafür ihm aufgezeigt zu haben, dass nicht alles schwarz und weiß wäre, und die beiden gehen in einer Panoramaeinstellung getrennte Wege – der absurde Tiefpunkt einer wirren Geschichte, in der Täter und Befreier auf schockierend nüchterne Art und Weise auf eine Ebene gestellt, die Opfer kaum bis gar keine Rolle spielen und die komplexen Sachverhalte des Zweiten Weltkriegs mit der Dampfwalze platt gedrückt werden. Später im Lager hilft uns der deutsche Soldat bei der Flucht und wird gar als alter Freund bezeichnet. Zu dem Lager stellt Liam im Krankenhaus nach einem Flugzeugabsturz noch eine Frage an einen Kameraden, die unbeantwortet bleibt. Im Abspann wird zwar sowohl auf zivile als auch auf militärische Opfer eingegangen, allerdings vornehmlich aus der britischen Perspektive. Der Holocaust wird von Letters of War, in dem was wir gespielt haben, gar nicht thematisiert. Das Freischalten der Zeitungsausschnitte im Menü wurde durch einen Glitch einmal automatisch zurückgesetzt, also können wir nicht sagen, ob es hier nicht doch einen Artikel im späteren Verlauf des Spiels gab. In der eigentlichen Geschichte und in den letzten Texttafeln findet man zu dem von Nazi-Deutschland an den rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden begangenen Völkermord, über den die BBC bereits 1942 berichtete, nichts.

Nicht nur inhaltlich, auch bezogen auf die spielerischen Aspekte hätte man das Spiel einer umfangreicheren Qualitätsprüfung unterziehen sollen. Einerseits erfordern manche Abschnitte perfekt getimte Eingaben – gerade in dem Panzer-gegen-Scharfschütze-Abschnitt, was durch die zahlreichen Rücksetzpunkte etwas weniger frustrierend ist, als es initial klingt. Andererseits ist das Spiel zum Testzeitpunkt voller Bugs und Glitches: So bleibt ein leeres Stück Papier einfach mittig auf dem Bildschirm bis wir das Spiel neu starten, die Hack-Animation bei der Flucht aus dem Lager wird einfach beim Lauf durch den Wald fortgesetzt und manchmal verschwindet der Charakter komplett. In Gesprächen scheinen die Animationen dann unterbrochen zu werden, wenn wir einen Screenshot machen. Im Laufe des Spiels schalten wir Zeitungsartikel frei, die ausgewählte Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg erzählen. In unserem Durchlauf wurde der Fortschritt beim Freischalten dieser Artikel plötzlich zurückgesetzt und so fingen wir wieder beim ersten an. Unsere Eingaben bei den Quick-Time-Events – etwa wenn wir mit Rosie als Teil eines Kinderchors singen – werden oftmals nicht registriert, eine negative Auswirkung auf den Spielverlauf hat das aber ohnehin nicht. Die Liste an technischen Ungereimtheiten könnte noch weiter fortgesetzt werden.

Das Abenteuerspiel verfügt über eine englische Synchro und wahlweise englische, spanische, chinesische, japanische und russische Bildschirmtexte. Eine deutsche Übersetzung soll binnen eines Monats nach der gestrigen Veröffentlichung hinzugefügt werden. Sowohl die Qualität der Stimmen als auch der Musik und der Audiomischung lässt zu wünschen übrig und so können wir die Dialoge teilweise gar nicht hören, weil die Musik zu laut tobt. Gleichermaßen herrscht manchmal auch absolute Stille – also weder Musik, noch Soundeffekte. Die Musik passt zwar häufig zum Geschehen, ist qualitativ aber teilweise so niedrig angesiedelt, dass wir an der Funktionstüchtigkeit unseres Ausgabegerät zweifelten (der Kopfhörer war okay). In einem kurzen Marktabschnitt, in dem wir einmal mehr den ewig gleichen Charakteren mit unterschiedlichen Bärten und Frisuren begegnen, scheint das Spiel reale Audioaufnahmen im Hintergrund abzuspielen, in denen wir meinen, Menschen über Champagner sprechen zu hören – reichlich unpassend in diesem Szenario. Wie schon bei den Landungen in Sizilien und der Normandie oder im Lager sind viel zu wenig Figuren auf dem Bildschirm, um der Szene Authentizität zu verleihen. In diesen in der Realität hochkomplexen Militäroperationen mit unzähligen Opfern werfen wir im Spiel eine Hand voll Granaten, um den Strand auch schon zu erobern und plötzlich der britischen Hymne zu lauschen. In den Ladebildschirmen zwischen den fünf Kapiteln lesen wir eine Mischung aus Vorurteilen, trivialen Fakten und mindestens fragwürdigen Aussagen über Großbritannien, die teilweise so absurd sind, dass wir uns hier vorstellen können, dass ein KI-Skript dafür verantwortlich ist. Grafisch setzt Letters of War auf einen ähnlichen Bilderbuch-Stil wie das Vorbild Valiant Hearts und Charaktere und Hintergründe sehen größtenteils okay aus, ohne dabei im Ansatz an die hohe Qualität der Vorlage heranzukommen. Das rund zehn-köpfige Entwicklerstudio Wood Cabin Games meint im Steam-Community Hub übrigens auf die Frage eines Users, ob das Spiel KI-Assets verwenden wurden, dass alles zu einhundert Prozent von menschlichen Künstlerinnen und Künstlern handgezeichnet wäre.

Fazit

Letters of War wird von den Entwickelnden als spiritueller Nachfolger zu Valiant Hearts: The Great War bezeichnet. Das erste Problem dabei ist, dass es einen Nachfolger, der auf den Titel Valiant Hearts: Coming Home hört, gibt und dieser auch größtenteils gelungen ist. Was die Ubisoft-Serie ausmacht, sind die nahbaren Charaktere, mit denen man mitleidet, und die Grausamkeiten des Krieges authentisch darzustellen. Beides gelingt Letters of War in seiner Laufzeit von rund dreieinhalb Stunden kaum. Die Idee, sowohl eine Angehörige als auch einen Soldaten zu spielen, klingt erst einmal interessant. Das Skript ist allerdings so dermaßen klischeebeladen und unauthentisch, dass wir keine Bindung zu den Figuren aufbauen können. Die Aussage der Mutter Catherine an ihre junge Tochter Rosie gegen Ende des Spiels, dass es im Krieg keine guten und schlechten Menschen gäbe und dass nur diejenigen, die dazu gezwungen werden anzugreifen oder sich zu verteidigen, existieren würden, ist unter mehreren Gesichtspunkten hochproblematisch. Der Zweite Weltkrieg wird aus moralischen Gründen aufgrund des Kampfes gegen den Nationalsozialismus schon damals und von Historikerinnen und Historikern oftmals als „Der Gute Krieg“ bezeichnet. Diese Schilderung passt also weder in die Zeit, noch ist sie aus heutiger Sicht zutreffend. Hier kommt auch der Verdacht auf, dass Aggressoren, die einen Krieg starten, verharmlost werden und gerade angesichts des seit drei Jahren andauernden Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ist diese Aussage mindestens fehlplatziert. Letters of War hat eine Reihe von solchen Momenten, in denen verdeutlicht wird, dass die Entwickelnden diesem hochkomplexen Thema nicht im Ansatz gerecht werden. Hinzu kommen diverse technische Mängel und massive Schwankungen im Schwierigkeitsgrad. In Deutschland kann auf die Steam-Seite von Letters of War derzeit nicht zugegriffen werden, doch außerhalb, etwa in Österreich, der Schweiz, Großbritannien und den USA, ist es seit dem 25. September zum Preis von 6,89 Euro, 5,89 Pfund und 6,99 US-Dollar mit einem zeitlich begrenzten zehnprozentigen Veröffentlichungsrabatt erhältlich. Wer ein ähnlich gelungenes Spiel wie Valiant Hearts sucht, das den Zweiten Weltkrieg wesentlich nuancierter aus der Sicht einer mutigen Zivilistin betrachtet, die oder der könnte bei dem im Dänemark des Jahres 1945 verorteten RPG-Lite-Drama Gerda: A Flame in Winter, zu dem es auch eine Demo auf Steam gibt, fündig werden.

Letters of War wurde uns  von Wood Cabin Games zur Verfügung gestellt. Wir haben die Screenshots am PC aufgenommen.