Die Fotografin (Original: Lee) zeigt den Werdegang Lee Millers vom Modell im Frankreich der späten 30er Jahre zur Kriegsfotografin im Zweiten Weltkrieg.
Im Rahmen des 41. Filmfest München ist für Dienstag, den 2. Juli 2024 die Europapremiere von Die Fotografin geplant. Die Hauptdarstellerin Kate Winslet soll der CineMerit Award für ihre Verdienste um das Kino verliehen werden. Der Film wird am 26. September 2024 in die deutschen Kinos kommen. Wir konnten das Historiendrama bereits heute in der Originalfassung sehen. Die Fotografin basiert auf dem Buch The Lives of Lee Miller ihres Sohnes Antony Penrose und er wirkte auch als technischer Berater an der Entstehung des Films von Regisseurin Ellen Kuras mit.
Winslet verkörpert Lee Miller, deren Fotos aus den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs international für Schlagzeilen gesorgt haben, allerdings erst viel später als sie es sich mutmaßlich gewünscht hätte. Der Film beginnt mit einer Kriegsszene in Saint-Malo in der französischen Bretagne im August 1944 wenige Wochen nach dem D-Day, der Landungsoperation der alliierten Streitkräfte zur Befreiung Europas von der Nazi-Herrschaft. Inmitten von Explosionen versucht Lee mit ihrer Kamera ein Foto zu machen, als sie von einer einschlagenden Granate zu Boden geworfen wird. Der Originaltitel des Films Lee erscheint auf der Leinwand. Für die nächste gute Stunde wird genau dieser erbarmungslose Krieg vollkommen in den Hintergrund rücken. Wir befinden uns im Jahr 1938 im französischen Mougins, etwas nördlich von Cannes an der Côte d’Azur. Lee verbringt ein Picknick mit ihren Liebsten. Dabei mangelt es weder an Nahrung noch an guter Laune und Freizügigkeit. Bei einer Filmprojektion erscheinen plötzlich Bilder von Adolf Hitler und Naziparaden erscheinen. Als bestes Mittel gegen die Tyrannei erkort man Heiterkeit und so tanzt die Gesellschaft während die Militärparaden über sie gelegt werden – ein absurder Anblick, der die Ignoranz der westlichen Gesellschaft gegenüber der politischen Realität aufzeigt. Wer sich für genau diese Zeit interessiert, dem sei der Thriller München – Im Angesicht des Krieges (Originaltitel: Munich – The Edge of War) u. a. mit George MacKay (1917) und Sandra Hüller (The Zone of Interest) ans Herz gelegt.
Die unterschiedlichen Abschnitte im Leben der Lee Miller werden von einer Interview-Situation in ihrem Townhouse auf der Farley Farm im britischen East Sussez im Jahr 1970 miteinander verbunden. In der zweiten Hälfte widmet sich der Film Lees Arbeit als Fotografin für die britische Vogue im London des Jahres 1940. Audrey, die Chefredakteurin des Lifestyle-Magazins, ist allerdings nicht daran interessiert, das Ex-Model nach Frankreich zu schicken um Fotos von der Front zu liefern. So muss sie von ihrem Kollegen David „Davey“ Scherman daran erinnert werden, dass sie ja US-Amerikanerin ist und mit oder sollten wir besser sagen trotz ihres widerspenstigen Charakters gelingt es ihr die US-Streitkräfte zu überzeugen sie in das vermeintlich befreite Saint-Malo im Nordwesten Frankreichs mitzunehmen. Lees Wunsch überhaupt über den Krieg vor Ort berichten zu wollen und ihre Entwicklung vom Model zur Kriegsfotografin ist schwierig nachzuvollziehen, was auch an der episodenhaften Erzählweise des Films liegt, aber die Glaubwürdigkeit des Films in Mitleidenschaft zieht. Ihr Partner Roland Penrose (Alexander Skarsgard) ist ein englischer Künstler, der nach Ausbruch des Krieges als Pazifist den Luftschutz unterstützte und in der British Home Guard die Malerei von Tarnmustern (Camouflagemalerei) zur Tarnung militärischen Geräts lehrte. Im Film wird das dadurch dargestellt, dass sich Lee nackt auszieht und von Roland bemalt wird. Insgesamt bleibt er eine blasse Figur, die ab und an auftaucht und Lees Ambitionen in Frage stellt und altertümliche Rollenbilder bedient. Immer wieder muss sie gegen das Patriarchat ankämpfen, da Frauen konsequent von der Kriegsberichterstattung ausgegrenzt werden. Gerade weil sie gegen so viele Widerstände ankämpft ist es schade, dass vergleichsweise wenig von ihrer journalistischen Arbeit vermittelt wird.
Die ikonischen Motive werden im Film oftmals eins zu eins nachgestellt, sei es von dem im Film Kurt genannten in Bandagen gehüllten Soldaten in Großbritannien, der Befreiung Paris 1944, oder ihrem Bad in der Münchner Wohnung Adolf Hitlers kurz nach Kriegsende. Tatsächliche Kriegsszenen werden im Film kaum gezeigt – überraschend, da Lee Miller gerade dafür bekannt ist. Stattdessen konzentriert man sich häufig darauf Lee in Gesprächen mit Weggefährten zu zeigen, die ein ums andere Mal im deutlichen Kontrast zur beklemmenden Stimmung der vorhergehenden Szene steht – im einen Moment befreit sie eine junge Französin von einem US-amerikanischen Soldaten, im nächsten feiert sie in heiterer Gesellschaft. Lee Miller wird in Die Fotografin als impulsive unnahbare schonungslos ehrliche und narzisstischer Charakter porträtiert. Das macht es gemeinsam mit der sprunghaften Erzählweise des Films schwierig, eine Bindung mit der Protagonistin aufzubauen. Eine Szene mit ihrer Freundin Solange D’Ayen (Marion Cotillard), die monatelang eingesperrt wurde und verängstigt und verwahrlost von Lee aufgefunden wird, stellt die absolute Ausnahme dar. Im letzten Viertel ändert der Film die Tonalität dann erneut als Lee und Davey ein Konzentrationslager betreten, vermutlich das KZ Buchenwald. Die nackten oder in Sträflingskleidung gehüllten abgemagerten Insassen machen sich über die angelieferten Brote her während Lee die Leichenberge in einem der zahlreichen Güterwagons ablichtet und eine Gruppe junger Frauen fotografiert. Diese Begegnung wirkt prägend auf sie, da sie geradezu manisch versucht ihre Bilder an die Öffentlichkeit, die von den Medien lieber geschont werden soll, zu bringen.
Ein Lob gebührt dem Setdesign und den Kostümen sowie den CGI-Effekten. Jede Szene sieht sehr authentisch aus, sei es die malerische Bretagne, die schicke Abendgarderobe oder die zahlreichen alten Karossen im London der 40er-Jahre, oder auch das opulente Paris und das völlig zerstörte Deutschland, welches Lee und Davey zusammen im Jahr 1945 monatelang durchfahren (ohne dabei sichtlich mitgenommen auszusehen). Obwohl London schwere Schäden im Zweiten Weltkrieg erfahren hat, ist davon im Film wenig zu sehen. Im Kontext des Films weisen wir auf die großartige Dokumentation Drei Frauen – Ein Krieg (derzeit in der ARD Mediathek verfügbar) hin, in der die Kriegsberichterstattung von Lee Miller, Margaret Bourke-White und Martha Gellhorn beleuchtet wird.
Fazit
Ähnlich ambivalent wie der Charakter Lee Miller ist auch die Verfilmung Die Fotografin geworden. Einerseits wird versucht eine gewisse historische Korrektheit auf die Leinwand zu projizieren und das gelingt auch mit Blick auf die Motive, die nahezu eins zu eins nachgestellt wirken, an anderer Stelle scheint man sich dann wieder viele Freiheiten zu nehmen. Während der bandagierte Soldat in der Realität nur abgelichtet werden wollte, um später einmal zu sehen wie lächerlich er aussieht, will er im Film seiner Familie seinen Mut beweisen. Die großartigen Schreibkünste Lees werden im Film zu keinem Zeitpunkt ausreichend gewürdigt, stattdessen wird sie häufig in psychisch instabilem und alkoholisierten Zustand gezeigt und das soll in manchen Situationen dann sogar der Auflockerung dienen. Die Fotografin ist also weder Kriegs- bzw. Charakter-Drama noch Satire, auch wenn es Elemente von beidem besitzt. Ob die flapsigen, zynischen und meist schlicht platten Dialoge und der mangelnde Bezug zu den Zivilistinnen und Zivilisten der Realität entsprechen, können und wollen wir uns nicht anmaßen beurteilen zu können. Die Fotografin ist ein schwierig anzusehender Film und das liegt nicht nur an den äußerst sensiblen Themen, die erwartungsgemäß Teil davon sind, sondern vor allem an der fehlenden Identifikation mit der Protagonistin und den schwachen Dialogen.
Das Filmfest München hat uns den Film vorab gezeigt. Bildquelle: Studiocanal