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Zelluloitis - Filmecke

Zelluloitis: The Zone of Interest

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The Zone of Interest ist ein Historiendrama von Jonathan Glazer, das den Horror des Holocaust aus einer neuen Perspektive zeigt.

Bei The Zone of Interest handelt es sich um eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Martin Amis. Regisseur Jonathan Glazer (zuletzt: Under the Skin mit Scarlett Johansson) nimmt sich dabei einige Freiheiten und folgt nicht streng der Romanvorlage. So wird nur eine der drei Perspektiven gezeigt und der fiktionale ErzĂ€hler wird zu Rudolf HĂ¶ĂŸ (gespielt von Christian Friedel), von Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, unweit des polnischen Ortes Oƛwięcim. Der Lagerkommandant lebt in einem frisch renovierten zweistöckigen Haus mit seiner Frau Hedwig (Sandra HĂŒller) und seinen fĂŒnf Kindern. Das Haus grenzt unmittelbar im Nordosten an das Stammlager KZ Auschwitz I und liegt ca. drei Kilometer von dem Vernichtungslager KZ Auschwitz-Birkenau entfernt.

Der Film beginnt mit einer bedrohlich wirkenden Musiksequenz. FĂŒr mehrere Minuten lauschen wir lediglich der atmosphĂ€rischen Musik von Mica Levi, sehen aber kein Bild dazu. Auf den Filmfestspielen von Cannes erlĂ€utert Glazer, dass man so die Zuschauerinnen und Zuschauer aus ihren geschĂ€ftigen Leben in die ErzĂ€hlung des Films ĂŒberleiten will. Zu Beginn wohnen wir der HĂ¶ĂŸ-Familie bei einem Badeausflug in einem nahegelegenen Fluss bei. Der Großteil des Films spielt sich allerdings in dem in dem Titel gebenden Bereich befindlichen Wohnhaus ab. The Zone of Interest begleitet die Familie in allerlei Alltagssituationen, vom gemeinsamen Abendessen ĂŒber ein euphorisches Gartenfest mit Freundinnen und Freunden und einem herzlichen Besuch der Großmutter (Imogen Kogge). WĂ€hrend die Kinder vergnĂŒgt im Pool spielen, sind die hohen WachtĂŒrme, die ZĂ€une und die roten ZiegeldĂ€cher der schier endlosen HĂ€userreihen, in denen die Gefangenen festgehalten werden, gut zu erkennen. Anders als die Buchvorlage gibt der Film keinen direkten Einblick in das Lager.

Die stĂ€ndig vorherrschende Klangkulisse lassen die grausamen Geschehnissen allerdings erahnen. Das Dröhnen der Maschinen, das Rattern der in grausamer RegelmĂ€ĂŸigkeit ankommenden ZĂŒge, die Schreie der Insassen und die SchĂŒsse des Soldaten begleiten uns unentwegt. WĂ€hrend man sich im Entstehungsprozess dagegen entschieden hat den Großteil des Films mit Musik zu versehen, werden verstörende Themen in einzelnen Szenen, denen Zeit gegeben wird ihre Wirkung zu entfalten, effektiv eingesetzt. Das jiddische Lied Sunbeams wurde von Joseph Wulf 1943 im KZ Auschwitz III Monowitz geschrieben. Nach einer kurzen Ansprache des Holocaust-Überlebenden, die in den 60ern aufgenommen wurde, spielt eine polnische Pianistin das Lied, wĂ€hrend der zuvor nie niedergeschriebene Text eingeblendet wird.

The Zone of Interest wurde in einer Weise gedreht, in der wir den Ereignissen als Kammerspiel beiwohnen. Bis zu zehn verschiedene Kameraperspektiven stehen pro Szene zur VerfĂŒgung. Regieanweisungen gibt es indes wĂ€hrend des Drehs nicht, vielmehr können Schauspielerinnen und Schauspieler frei spielen. Die von Alltagsproblemen geprĂ€gten und antisemitischem Denken durchsetzten Dialoge wirken authentisch und die Leistung der Darstellenden, allen voran Christian Friedel als stoischer Lagerkommandant und liebevoller Familienvater Rudolf HĂ¶ĂŸ und Sandra HĂŒller als dessen egozentrische Ehefrau Hedwig HĂ¶ĂŸ, kann nicht hoch genug angerechnet werden. Das zeitgenössisch orientierte und eher modern ausgerichtete KostĂŒm- und Setdesign trĂ€gt zu der authentischen AtmosphĂ€re bei.

Durch die unorthodoxe Bildregie von Ɓukasz Ć»al entstehen viele interessante Bilder, etwa die Darstellung einer Sitzung des SS-Kommandostabs aus der Vogelperspektive, in der der Machtapparat umso allumspannender wirkt, oder den flachen in schwarz/weiß gehaltenen WĂ€rmebildaufnahmen eines polnischen MĂ€dchens, das die Gefangenen heimlich mit Lebensmitteln versorgt. Die Panoramaeinstellungen fĂŒhren allerdings nicht zu einer emotionalen Entkopplung von den Grausamkeiten, etwa wenn die Familie lachend die Habseligkeiten der Lagerinsassen in der Familie verteilt, die Kinder das nationalsozialistische Gedankengut im Spielen ausleben oder ein Architekt dem Kommandanten die Wirkungsweise eines neu entwickelten Brennofens im Detail erklĂ€rt.

Sobald das Setting etabliert wurde, lĂ€sst man Friedel und HĂŒller mehr Raum das HĂ¶ĂŸ-Ehepaar zu spielen. Das kulminiert in einer schauspielerisch ĂŒberzeugend dargestellten Konfrontation. SpĂ€ter wird der Kommandant nach Oranienburg versetzt und wir erhalten einen Einblick in den Glitz und Glamour, in dem die FunktionĂ€re des Nazi-Regimes in Berlin leben. WĂ€hrend wir zu Beginn viele positive persönliche Momente der Familie miterlebt haben, wendet sich das Blatt hier spĂ€testens. Szenen aus dem heutigen Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau zeigen wie lange nach den Ereignissen die Erinnerungskultur noch gepflegt wird.

The Zone of Interest zeigt die verheerenden Folgen einer nationalsozialistischen Denkweise auf teils subtile und eindringliche Art. Das idyllische Familienleben wird stĂ€ndig von den grausamen Verbrechen ĂŒberschattet. Auf visueller Ebene holt man die Ereignisse mit moderner AusrĂŒstung in das 21. Jahrhundert, begleitet von einem alles durchdringenden Klangteppich. Das Kammerspiel wird aus innovativen Perspektiven erzĂ€hlt, wirkt durch die vielen Kamera- und Szenenwechsel aber manchmal inkohĂ€rent und etwas langatmig. The Zone of Interest ist im aktuellen Kontext wichtiger denn je, kann als Warnung vor einer Verrohung der Gesellschaft verstanden werden und ist darĂŒber hinaus ein sehenswerter Film. Der deutsche Kinostart ist fĂŒr den 29. Februar 2024 geplant.

Der Verleih hat uns The Zone of Interest vorab gezeigt.