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Test

Im Test: Dear Esther

Von der Modifikation zum vollwertigen Spiel. Was andere Teams mit Team Fortress, Counter-Strike und Dota bereits geschafft haben, können wir auch, dachten sich wohl die Briten von thechineseroom mit ihrem Spiel gewordenen Gedicht Dear Esther.

Ebenso wie die eingangs erwähnten Vorreiter basiert Dear Esther auf Valves Source Engine (u.a. Half-Life, Portal). Die 2007 erschienene Mod, die man immer noch kostenfrei herunterladen kann, ist das Ergebnis eines Projektes von Studenten der Universität Portsmouth, das an der südlichen Küste Englands liegt. Dear Esther wurde schnell zur Sensation und gewann diverse Indie Game-Awards.

Nun, knappe fünf Jahre später, steht das gleichnamige Remake der Source Engine-Mod seit gestern endlich auf Steam zum Download bereit. An der Geschichte und dem Schauplatz hat sich nichts geändert.

This beach is no place to end a life

In Dear Esther strandet ihr als Schiffsbrüchiger auf einer verlassenen Insel in den Hebriden, die vor der Küste Schottlands liegen. Das Spielgeschehen wird vom Protagonisten kommentiert, der mehrere Briefe an seine Geliebte Esther formuliert und artikuliert. Während ihr also die Insel erkundet, erzählt der Namenlose teils zusammenhängende teils aber auch völlig abstruse Ausschnitte aus seinem Leben, einem wichtigen Vorfall mit Esther und gibt auch eine eher als minder akkurat anzusehende Geschichtslehrstunde. Darin geht es um einen Forscher namens Donnelly, der scheinbar zuvor auf diesem Eiland nach Spuren früheren Lebens gesucht hat und auf eine alte Sage des Einsiedlers Jakobson gestoßen ist.

Während nach und nach siene Verbindung und Geschichte mit Esther deutlich wird werden seine Monologe aber immer wirrer und verschmelzen sich in einen abstrusen Gedankenstrom um Nierentransplantationen, die biblische Reise nach Damaskus und chemischen Symbolen. Diese befinden sich übrigens auf der ganzen Insel aufgemalt an den Felsvorsprüngen.

Die englischen Voice-Overs sind sehr durchdacht und voll von Anspielungen an Teile der Story (“… tracking lines form a perfect map of the junctions of the M5 (Anm. d. Red.: Autobahn in Großbritannien). I will take the exit at mid-thigh and plummet (Plymouth) to my Esther (Exeter).”) und religiöse Begriffe wie Zikkurate. Zugleich besitzen sie auch so eine schöne Lyrik, das sie direkt aus einem Gedicht stammen könnten. No man is an island, sagte schon der britische Poet John Donne. Ob das im Fall von Dear Esther wirklich so ist, erspielt ihr besser selbst.

Eine deutsche Überstzung gibt es für Dear Esther übrigens bislang noch nicht. Hier ist wohl eine Fan-Übersetzung gefragt. Wer von der komplexen Story etwas verwirrt ist, kann sich alle Monologe übrigens auch nochmal seperat durchlesen. Dazu geht ihr einfach in den folgenden Ordner und öffnet die genannte Datei. Dort findet man übrigens auch mehrere Varianten von gewissen Schlüsselstellen – sehr interessant!

...\Steam\SteamApps\common\dear esther\dearesther\resource\closecaptions_english.txt

Langsam perlt einem dann die Wahrheit wie Schuppen von den Augen – oder wie Wassertropfen aus den engen Furchen der wunderschönen Kristallhöhlen.

It is critical to keep one’s eyes firmly open

Die grafische Neuaufbereitung der Originalfassung hat es übrigens in sich. Die weichgespülten Kanten der Felsen, das brechende Licht der Kerzen und reißerische Wasserfälle saugen einen noch mehr in das Spiel rein. Weichgespült ist der Look übrigens ganz und gar nicht. Wie man vor dem ernsthaften Hintergrund erwartet, präsentiert sich das Spiel eher düster und es gibt keinen scharlachroten Sonnenuntergang.

Dazu trägt übrigens auch der wundervolle und buchstäblich auch schaurig schöne Soundtrack von Jessica Curry (ab sofort für 6,99 Euro als MP3-Download erhältlich). Die Musik erinnert mit den nachdenklich stimmenden Klängen an Werke von David Julyan (Insomnia, Memento, Heartless), Nick Cave (Die Ermordung des Jesse James) und Bill Elm (Red Dead Redemption) und verstört auch etwas mit den verzerrten Choral-Gesängen, die miteingearbeitet sind.

Dear Esther ist so interaktiv wie ein Film, bei dem ihr den Kameramann mimt. Ein Vergleich mit Heavy Rain hinkt etwas, da es in Dear Esther wirklich gar keine Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung gibt. Das braucht es aber auch nicht, da man – wie in der Original-Mod – mit offenen Augen viele versteckte Sachen findet und ständig den interessanten Geschichten lauscht. Es ist wie eine melancholische Reise, die eine neue Art der Erzählung einer Geschichte in einem Videospiel darstellt. Bastion kann man im Übrigen als Abkömmling dieser Generation nennen, bei dem es ebenfalls einen Erzähler gibt, der die Aktionen des Spielers kommentiert.

Video: Die ersten zehn Minuten in Dear Esther

Fazit

Liebe Esther,

die Zeit mit dir war wirklich schön. Dein neuer Stil gefällt mir und auch, dass du nun durch deine größere Bekanntheit mehr Menschen erfreuen kannst, finde ich natürlich toll. Filmfans, denen Memento oder Sieben Leben gefallen haben, werden viel Spaß mit dir haben.

In spielerische Qualitätsordnungen kann man dich aber irgendwie nicht einstufen. Da ist es wieder etwas positives, dass wir hier nur Meinungen Preis geben, aber keine in Stein gemeißelten Wertungen vergeben, die in deinem Falle mal wieder sehr unbrauchbar sein würde. Qualität muss man nicht immer genau abmessen können, man muss sie nur Wert schätzen können. Wenn du mir sagst, dass die Zeit mit dir pro Minute nur ein Zehntel so teuer ist wie ein Multimillionen-Dollar-Produkt der Marke Call of Duty, dann wird einem diese Feststellung auch bewusst (die Einzelspieler-Kampagne ist dabei gemeint, liebe Fans!).

Den Sinn der Kerzen musst du mir trotzdem nochmal bei einem Drink im Schein des Vollmondes auf der Veranda des verlassenen Hauses an der Kreuzung zwischen Exeter und Wolverhampton erklären.

Come back.

Update: 12.03.

Eine deutsche Übersetzung der Texte gibt es jetzt auch. Alle Infos dazu im Steam-Forum. Ihr könnt die Sprache in eurer Steam-Bibliothek durch Rechtsklick auf das Spiel -> Eigenschaften -> Sprache ändern.

Alle Screenshots wurden von uns persönlich erstellt.

Dear Esther
System: PC
Preis: 7,99 Euro (Steam)
Genre: Adventure
Entwickler: thechineseroom & Robert Briscoe
Publisher: thechineseroom

 

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