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Im Test: Lost Records: Bloom & Rage – Tape 2

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Zwei Monate nachdem das hervorragende Lost Records: Bloom & Rage erschienen ist, kam Tape 2 heraus, also haben wir uns erneut nach Velvet Cove aufgemacht.

Der Veröffentlichung des neuen Spiels des Studios hinter Life is Strange, dem Prequel Before the Storm und Life is Strange 2 sowie Remember Me und Tell Me Why, Don’t Nod Montreal, wurde in zwei Episoden aufgeteilt. Da Lost Records: Bloom & Rage in den 90ern angesiedelt ist, sind es Tapes. Während das erste Tape pünktlich am 18. Februar erschienen ist, verzögerte sich das zweite Tape um knapp einen Monat auf den 15. April. Alle Besitzer des Spiels auf PlayStation 5, Xbox Series X|S und PC sowie diejenigen, die das Spiel als Abonnent von PlayStation Plus Extra oder Premium ihrer Bibliothek hinzugefügt haben, können den neuen Inhalt über ein kostenfreies Update abrufen und nachdem sie Tape 1 durchgespielt haben im Hauptmenü anwählen.

Velvet night, it’s dark and lonely

Tape 2 setzt da an, wo die erste Folge geendet hat – bei einem massiven Cliffhanger. Wir versuchen diesen Beitrag so spoilerfrei wie möglich halten, werden aber auf die Inhalte beider Episoden eingehen. Wer sich also gänzlich ohne Vorwissen in das Spiel stürzen will, sollte sich diesen Test wohl eher nach dem Spielen zu Gemüte führen. In einer Art Traumsequenz durchlebt Swann die wichtigsten Ereignisse aus dem ersten Teil, um alle Spielenden nach der langen Pause abzuholen. Nach wie vor steht die Gruppe um Protagonistin Swann, Autumn, Kat und Nora im Jahr 2022 davor, ein Päckchen zu öffnen, welches an ihre frühere Teenie-Band Bloom & Rage adressiert wurde, während sie 1995 mit einem schweren Schicksalsschlag zu kämpfen haben, nachdem sie ein spektakuläres Konzert vor der Bar Blue Spruce vom Stapel gelassen haben, welches in großem Herzschmerz endete.

What would you give to the abyss?

Wie schon in Bloom verbringen wir auch in Rage wesentlich mehr Zeit in der Vergangenheit als in der Gegenwart, in der endlich das Päckchen relativ früh in der Episode geöffnet wird. Die Zeitsprünge werden wieder vom Spiel vorgegeben und auch hier spielen wir in der Gegenwart größtenteils aus der Ego-Perspektive, während wir in den 90ern in der Verfolgeransicht unterwegs sind. Swann besucht bekannte Schauplätze wie die das Blue Spruce und verschiedene Örtlichkeiten in den umliegenden Wäldern. Im Vergleich zum ersten Tape wurde die Möglichkeit, unseren vertrauten Camcorder einzusetzen, stark reduziert. Zumindest ab und an dürfen wir noch unsere in Tape 1 eigens benannte Katze und die Tiere des Waldes filmen. Gerne hätten wir auch hier einige Szenen festgehalten, sie zusammengeschnitten und Autumns innerem Monolog gelauscht. Auch Areale, in denen wir nach Belieben im eigenen Tempo die reichhaltigen Umgebungen durchsuchen können, sind in Rage rar gesät. An manchen Stellen dürfen wir auch noch den mysteriösen Wald etwas erkunden und den dunklen übernatürlich anmutenden Geheimnissen Velvet Coves auf die Spur gehen.

In die hohe Schlagfolge an Ereignissen haben diese Spielelemente diesmal wohl nicht ganz gepasst, das Pacing funktioniert diesmal nach dem etwas langatmigen Einstieg in die erste Folge deutlich besser. Wesentlich häufiger als zuvor versetzt uns das Spiel in brenzlige Situationen, in denen wir etwa Kats Zuhause infiltrieren sollen und im Metal Gear Solid-Stil den wachsamen Augen des Bewachers ausweichen, für Ablenkungen sorgen und auf eine analoge Form des Codex zurückgreifen müssen. Das funktioniert mehr schlecht als recht, da die Steuerung nicht für Stealth-Passagen ausgelegt ist und die Sichtkegel relativ nebulös sind, trägt aber zur spielerischen Abwechslung bei. In aufregenden Jagdsequenzen müssen wir uns schnell entscheiden, um Hindernissen auszuweichen und die Gruppe zu retten.

 

In this room there is no time

Dreh- und Angelpunkt des Spiels sind weiterhin die authentisch geschriebenen Dialoge und die spannende Geschichte voller Drehungen und Wendungen. Unsere Freundschaft zu unseren Freundinnen wird in dieser Folge mehr denn je auf die Probe gestellt und unsere Taten haben spürbare Auswirkungen auf unsere Beziehungen zu den anderen Mädchen. Setzen wir einen Charakter etwa zu sehr unter Druck, wird er am Ende nicht mehr für uns da sein. Eine ggf. im ersten Teil begonnene Romanze können wir fortsetzen oder beenden. Lost Records vermittelt uns das Gefühl, dass wir nicht nur Dialoge wegklicken, sondern Beziehungen zu den Charakteren aufbauen. Diese emotionale Bindung täuscht etwas über die Tatsache hinweg, dass das ultimative Ende von unseren Entscheidungen wenig beeinflusst wird. Die zweite Spielhälfte von Lost Records: Bloom & Rage bietet zahlreiche magische Momente, die fröhlich sind, uns zum Weinen bringen oder das Blut in unseren Adern gefrieren lassen.

We still dance until the blue

Insgesamt neun verschiedene Möglichkeiten offenbart uns die obligatorische Entscheidungsübersicht am Ende des Spiels für eine der spielentscheidenden Szenen. Bislang wurden vier verschiedene Enden von der Community entdeckt, wie die Reise von Bloom & Rage vorerst enden kann. Die Offenheit des Endes in Bezug auf einen möglichen Nachfolger stößt einigen sauer auf, doch scheint das eher ein Videospiel-Problem zu sein. Bei Serien ist bei einem offenen Ende hingegen seltener ein Aufschrei zu vermerken, es sei denn man macht es wie Lost. Das Ende mag zwar kontrovers sein, stößt denjenigen Spielenden allerdings wohl weitaus weniger vor den Kopf, die die Geschichte und die Geschehnisse bis dahin aufmerksam verfolgt haben. Sowohl die unterschiedlichen Enden als auch die zahlreichen mehr oder minder gut versteckten Hinweise laden dazu ein, das Spiel von Neuem zu beginnen.

 

There’s nothing like Lapis Lazuli

Tape 2 punktet ebenso wie die erste Folge mit einer großartigen Inszenierung – von der gut ausgearbeiteten Mimik und Gestik der Charaktere über die reichhaltig ausgestatteten Schauplätze bis hin zu den schicken Licht-, Schatten- und Partikeleffekten -, einer fantastischen englischen Synchro und des atmosphärischen Synthie-Scores des Trios aus Ruth Radelet, Adam Miller und Nat Walker sowie der passenden lizenzierten Musik von Beach House und Babes in Toyland und nicht zuletzt einer überragenden Akustik-Version des Titellieds See You In Hell der Nora Kelly Band. Lost Records: Bloom & Rage verwendet ähnlich stilsicher wie die Serie Stranger Things ikonische Musik und starke Bilder um seine thematisch ähnlich gelagerte Geschichte zu inszenieren. Auch in Rage finden wir zahlreiche popkulturelle Anspielungen, etwa an den Twin-Peaks-Film Fire Walk With Me, dessen Titel auf Noras Feuerzeug prangert, und dem Unicom-Modul des fiktiven Zelda-Likes The Legend of Momojing. Tape 2 ist mit einer Spielzeit von rund sechs Stunden wesentlich kürzer als Tape 1, welches wir über zehn Stunden lang gespielt haben, bis der Abspann über den Bildschirm flimmerte – und uns bereits die in Rage enthaltenen Songs gespoilert hat.

Fazit

Das hervorragende narrative Abenteuer Lost Records: Bloom & Rage wird nach einer etwas langen Wartezeit von zwei Monaten mit dem weitaus kürzeren zweiten Tape zu einem fulminanten Finale geführt. Bei Rage konzentriert sich Don’t Nod auf ihre Kernkompetenz, den authentischen Dialogen und der Charakterentwicklung, und während wir mangels größerer Areale und spärlich eingesetztem Camcorder-Feature an spielerischer Freiheit im Vergleich zu Bloom einbüßen, machen das die zahlreichen magischen Momente und die Tatsache, dass unsere Entscheidungen spürbare Konsequenzen haben wieder wett. Das von Creative Director im Plausch auf der gamescom erklärte Ziel, dass Lost Records: Bloom & Rage länger im Gedächtnis bleibt, wurde erreicht. Die unterschiedlichen Enden bieten genug Futter für Spekulationen bis ein etwaiger nächster Teil der Serie erscheinen wird. Es mag nicht jeden begeistern, dass nicht jede offene Frage beantwortet wird, das Universum gibt jedenfalls viel Stoff für weitere Abenteuer her.

Die PC-Version von Lost Records: Bloom & Rage wurde uns von Don’t Nod zur Verfügung gestellt, mit der wir die Screenshots erstellt haben.