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In Lost Records: Bloom & Rage entdeckt eine Clique Teenagerinnen im verschlafenen Velvet Cove ein düsteres Geheimnis, das sie 27 Jahre später wieder zusammenführt.
In den dichten Wäldern Michigans ist nicht alles wie es scheint, wie wir in Don’t Nods neuem narrativen Abenteuerspiel Lost Records: Bloom & Rage herausfinden. Während Tape 1 am 18. Februar 2025 für PC, PlayStation 5 und Xbox Series X|S sowie in PlayStation Plus Extra und Premium erschienen ist, wird sich Tape 2 um einen Monat verzögern und am 15. April 2025 als kostenloses Update erscheinen und die Story komplettieren. Wir hatten die Gelegenheit das Team hinter Lost Records auf der letztjährigen gamescom zu treffen und es stellt sich heraus, dass hinter dem Spiel viele Menschen stecken, die bereits an der Life is Strange-Reihe beteiligt waren, allen voran Co-Creator und Studio Creative Director Michel Koch und Co-Creator Jean-Luc Cano sowie Studio Executive Producer Luc Baghadoust, Lead Character Artist Juliette Devillers, Cinematic Artist Johanna Bendemagh, Principal Lighting Artist Clément Marchal und Narrative Designer Matthias Fuchs. Das spiegelt sich in der Story, der Erzählstruktur, der dichten Atmosphäre und im Gameplay wieder. Erst im vergangenen Oktober ist mit Life is Strange: Double Exposure die offizielle Fortsetzung zu Don’t Nods Life is Strange (2015) von Deck Nine Games erschienen.
It’s never as it seems, help me to name it
Das erste Kapitel von Lost Records namens „Bloom“ handelt davon, wie sich die High School-Freundinnen Swann, Nora, Autumn und Kat kennenlernen, die titelgebende Band Bloom & Rage formen und ein düsteres Geheimnis hüten, welches sie 27 Jahre wieder vereint. Das Spiel beginnt in der Gegenwart, genauer gesagt im Jahr 2022. Swann kehrt auf Wunsch von Autumn in die Bar The Blue Spruce im verschlafenen fiktiven Örtchen Velvet Cove im US-Bundesstaat Michigan zurück und die Sozialarbeiterin konfrontiert die Protagonistin mit einem Paket mit der Aufschrift Bloom & Rage. Gemeinsam schwelgen die beiden in Erinnerungen, die wir in Rückblenden spielen. Schwups finden wir uns im Jahr Sommer des Jahres 1995 wieder. Die 16-jährige Swann steht kurz davor nach Kanada zu umzuziehen, will aber vorher noch ein paar Aufnahmen mit ihrem Camcorder machen. Wir dürfen Swanns Zimmer erkunden, welches naturgemäß in 90er-Nostalgia getaucht ist – von Troll-Figuren über Rock-Band-Poster, PEZ-Spendern, Tamagotchis, Disc-Men und Modul-basierten 16-Bit-Konsolen ist in Lost Records: Bloom & Rage nahezu alles zu finden, was zu dieser Zeit Gang und Gäbe war. Während wir etwa mit Swanns Katze, die ihr selber benennen könnt und die in drei Farben daherkommt (schwarz, weiß, orange), oder ihrem Käfer Twiglet im Terrarium interagieren, ploppen immer wieder Entscheidungen auf den Bildschirm. Wie wir es von Don’t Nod-Spielen kennen dürft ihr die Gespräche im Spiel durch eure Entscheidungen beeinflussen, doch dazu später mehr. Trotz etwas Entscheidungs- und Erkundungsspielraum ist Lost Records ein lineares Abenteuer, was sich erstmals dadurch bemerkbar macht, dass sobald wir einen Snack und die VHS-Kassette des Fantasy-Klassikers Der dunkle Kristall gefunden haben, ist urplötzlich das Überspielen von Swanns Camcorder-Aufnahmen mit dem Videorekorder abgeschlossen.
You’ll hang the hearts black and dull as the night
Innerhalb der Spielwelt dürfen wir uns in vorgegebenen Bereichen frei bewegen und jederzeit unsere Kamera zücken. Wir finden uns vor dem örtlichen Kino wieder und lernen am Eisstand Nora und Autumn kennen. Bei unseren Aufnahmen werden wir von den Bullies Dylan und Corey gestört und in eine unangenehme Situation gebracht: Dylan leidet offenbar unter einem gewissen Grad an Verfolgungswahn und bezichtigt uns sie ohne Einwilligung ins Gesicht gefilmt haben. Frontalaufnahme. Das wäre ja aber eine Straftat und so eilt ihr Biker-Freund Corey zur Hilfe und will Swann dazu bringen in einer unangenehmen Sequenz ihn mit seinem Bike zu filmen. Gerade der Einsatz von Musik unterstreicht die bedrückende Atmosphäre. Es muss allerdings nicht dazu kommen, denn wir können die beiden auch konfrontieren. Richtig eskalieren kann die Situation allerdings nicht – etwas sinnbildlich dafür, dass die Entscheidungen zwar den Verlauf der Handlung beeinflussen, allerdings könnt ihr die Geschichte nicht in eine neue Richtung lenken. Doch wie so häufig ist nicht alles so wie es scheint. Gerade die Charakterentwicklung ist eine große Stärke in Lost Records: Bloom & Rage, was sich etwas wie eine Matrjoschka anfühlt, da wir Figur um Figur freilegen, um zum Kern der Geschichte vorzudringen.
When the moon is high, I could touch the sky
Damit können wir im Wald diverse Tierarten auch in intimen Momenten ablichten, allerlei Graffitis entdecken, aber allen voran auch die Handlung weiter vorantreiben, etwa indem wir die ersten Proben und letztendlich ein komplettes Musikvideo für die erste Single von Bloom & Rage aufnehmen. Im jederzeit zugänglichen Schnittraum können wir in Nullkommanichts Clips austauschen oder die Abfolge ändern. Der grobkörnige Look von VHS-Aufnahmen wird authentisch wiedergegeben und vor allem die ganzen Soundeffekte versetzen uns wirklich in die Zeit zurück, was aber realitätsgetreu in manchen Lichtverhältnissen auch wirklich nicht sehr ansehnlich sein kann. Jede komplettierte Aufnahme wird von Swann kommentiert, wodurch der innere Monolog der Protagonistin transportiert wird. Das ist vergleichbar mit den Tagebucheinträgen in Life is Strange, fühlt sich allerdings deutlich interaktiver an. So fließen Narrative und Gameplay gut einander, etwa als wir im Wald Spotlight-Aufnahmen der Clique machen und mehr über sie erfahren. Während Autumn die Stimme der Vernunft der Gruppe zu sein scheint und die Goth und Rock-Göre Nora starke Chloe Price-Vibes versprüht, stellt sich die zunächst schüchterne Kat als zündelnde heimliche Anführerin von Bloom & Rage heraus. Don’t Nod nimmt sich die Zeit, die Charaktere und den Schauplatz allmählich aufzubauen. Das dürfte alldiejenigen, die die teils recht kurzen Life is Strange-Episoden als zu komprimiert angesehen haben, freuen, allerdings muss man etwas Sitzfleisch mitbringen, bis die Story in Fahrt kommt.
See you in Hell, you’ll fit in well
Die Clique wird nicht nur mit Bullies konfrontiert, sie kämpfen auch mit Alltagsproblemen wie Zugehörigkeit, familiären Problemen und schweren Schicksalsschlägen und noch dazu entdecken sie mysteriöse Vorkommnisse in Velvet Cove, was in unserem First Look bereits angeteast wurde, dem Spiel allerdings im letzten Drittel einen ganz neuen übernatürlichen Spin gibt und sicherlich maßgeblich die Geschichte von Tape 2 „Rage“ bestimmen wird. Zwischen dem Schmoren von Marshmallows am See und dem Herrichten einer alten Waldhütte solltet ihr euch auch gut in der Umgebung umschauen, um die Mysterien des Waldes zu lüften. Bereits innerhalb des ersten Tapes spürt ihr die Auswirkungen eurer Handlungen. So könnt ihr durch das Entdecken von Hinweisen neue Gesprächsoptionen und Dialog-Stränge freischalten und eure Beziehung zu den drei Freundinnen beeinflussen, etwa auch eine romantische Beziehung mit einem Charakter eingehen und so zusätzliche Szenen freischalten. Während Lost Records spielerisch recht erwartbar daherkommt – die Camcorder-Mechanik haben wir schnell verinnerlicht, die Timing-basierten Entscheidungen erzeugen das Gefühl von realitätsgetreuen Dialogen ohne künstlich Spannung zu generieren und kleinere Kombinationsrätsel und Mini-Spiele mit der Drum Machine lockern das von Erkundung geprägte Gameplay auf -, hält uns vor allem die spannende Geschichte bis zum Ende bei der Stange. Das kann je nach Spielstil rund acht, aber auch über zehn Stunden dauern. Wie wir es von Don’t Nod kennen wird am Ende von „Bloom“ jede wichtige Entscheidung aufgelistet und wir sehen welche Wahl andere Spielenden in diesen Situationen getroffen haben. Zusätzlich wird auch unsere Beziehung zu unseren Freundinnen sowohl in der 95er- als auch in der 22er Zeitlinie eingestuft.
It glows at night, it’s just a start
Lost Records: Bloom & Rage ist durch und durch ein 90er-Nostalige-Flash und kommt in einem charmanten Comic-artigen Look daher. Sowohl am PC als auch auf der Konsole ist es eine Freude jeden neuen Schauplatz zu erkunden und zahllose Easter Eggs und popkulturelle Referenzen zu finden. Während die englischen Synchronsprecherinnen und Synchronsprecher einen fantastischen Job abliefern, halten die Gesichtsanimationen trotz hohem Niveau leider nicht immer mit, was in den authentisch geschriebenen Dialogen zu einer Dissonanz führen kann. Auch die Musik trägt einen maßgeblichen Anteil zur dichten Atmosphäre bei. Während der Titelsong der Band „See You in Hell“ von der Nora Kelly Band beigesteuert wird, ist es vor allem das wiederkehrende Thema „The Wild Unknown“ vom Trio Ruth Radelet, Adam Miller und Nat Walker, welche als Chromatics auch schon im Reboot von Twin Peaks zu hören waren, das uns als Ohrwurm bleibt. Der verträumte Score stammt von Ruth Radelet und Milk & Bone, die mit „Natalie“ bereits ein ikonisches Lied zu Life is Strange 2 beigesteuert haben. Die Synthie-Musik versprüht Stranger Things-Atmosphäre, was aufgrund der übernatürlichen Elemente passt. Hinzu kommen einige lizenzierte Songs u.a. von Cocteau Twins, Bratmobile und The Dø, die sich sowohl musikalisch als auch lyrisch auf gelungene Art die Geschichte transportieren. Der offizielle Soundtrack ist derzeit digital und via Streaming-Diensten verfügbar und eine schicke Doppel-Vinyl wird im June veröffentlicht werden. In der uns zur Verfügung gestellten Version gab es noch einige Probleme mit der Tonabmischung sowie langsam ladende Texturen, Einbrüche in der Bildrate, Animations- und Schattenfehler, was Don’t Nod allerdings auf dem Schirm hat und an deren Lösung bereits gearbeitet wird. Im Vergleich zu anderen PC-Versionen, die in letzter Zeit erschienen sind, läuft das Spiel allerdings erstaunlich stabil und stellt auch keine allzu hohen Anforderungen an eure Hardware. Auf der Konsole – wir haben die PlayStation Plus-Version auf der PS5 Professional getestet – konnten wir keine nennenswerten visuellen Abstriche feststellen, allerdings ist hier die Bildrate auf 30 Bilder pro Sekunde begrenzt, was durchaus spürbar ist, sich aber aufgrund des langsamen Spieltempos nicht sehr negativ auswirkt. Der Titel ist derzeit nicht PS5 Pro Enhanced, eventuell wird ja noch wie bei Life is Strange: Double Exposure ein 60 FPS-Performance-Modus nachgereicht.
Fazit
Lost Records: Bloom & Rage ist ein 90er-Nostalige-Trip, den ihr nicht verpassen solltet. Don’t Nod hat ein hervorragendes narratives Abenteuer mit starken Charakteren, authentischen Dialogen, einer motivierenden Story mit einem spannenden übernatürlichen Twist und solidem Gameplay auf die Beine gestellt. Die Camcorder-Mechanik wurde nahtlos in Spiel integriert und sorgt für Abwechslung bei der Erkundung der reichhaltigen Spielwelt und gerade in punkto Ästhetik und Atmosphäre überzeugt der Titel, großartige spielerische Innovation solltet ihr allerdings nicht erwarten. Sollten euch narrative Abenteuerspiele wie Life is Strange, Tell Me Why und Road 96: Road 0 gefallen, können wir euch Lost Records: Bloom & Rage uneingeschränkt empfehlen. Die Story trägt sich gut über die erstaunlich lange Spielzeit und es bleibt abzuwarten, ob das zweite Tape „Rage“ an diese hohe Qualität anknüpfen kann und wie die Geschichte nach dem schockierenden Cliffhanger, mit dem „Bloom“ endet, fortgeführt wird.
Die PC-Version von Lost Records: Bloom & Rage wurde uns von Don’t Nod zur Verfügung gestellt, mit der wir die Screenshots erstellt haben. PlayStation hat uns den Zugang zur PS Plus-Version ermöglicht.