Krimi-Adventures sind auf der aktuellen Konsolengeneration noch relativ rar, Agatha Christie – The ABC Murders macht sich in alter Abenteuer-Manier auf euch knobeln zu lassen. Ob das aufgeht, zeigt der XTgamer-Review.
Agatha Christies Romane wurden bereits vier Mal in einem Videospiel versoftet. Das letzte erschien 2007 für den Nintendo DS und trägt den gleichen Namen! Agatha Christie – The ABC Murders basiert auf dem 18. Kriminalroman der britischen Autorin, der 1936 das Licht der Welt erblickte. Doch es gibt diverse Unterschiede zum von AWE Games entwickelten gleichnamigen Nintendo DS-Spiel.
Zum einen sieht man im DS-Spiel fast nur Text-Tafeln und hat wenig Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung, andererseits gibt es im neuen Spiel weitaus weniger als Minigames angelegte Puzzles. Die Texte wurden komplett neu geschrieben und die Handlung folgt zwar auch wieder der gleichen Vorlage, wurde aber in vielen Details anders umgesetzt, wir beachten im weiteren Verlauf dieses Tests also das DS-Spiel einfach nicht mehr.
The ABC Murders handelt von Hercule Poirot und seinem treuen Gefährten Arthur Hastings. Die beiden sind Detektive, in London ansässig und helfen der Polizei bei Mordfällen, die diese nicht gelöst bekommt. Klingt nach Sherlock Holmes und dessen Companion Watson, erschien aber faktisch zu ähnlicher Zeit im 19. Jahrhundert und die beiden Schriftsteller Doyle und Christie haben sich wohl gegenseitig befruchtet – das Call of Duty / Battlefield-Verhältnis im großen Zeitalter der Literatur. Auch wenn die Abenteuer Sherlocks 1887 begannen und die von Poirot erst 1916.
Das Spiel lässt euch in die Rolle des Gentleman-Detektivs Hercule Poirot schlüpfen. Ihr löst vier Kriminalfälle, die miteinander in Verbindung stehen. Die Fälle sind nicht so umfangreich wie etwa die des einzigen Spiels dieser Generation, mit dem man The ABC Murders vergleichen könnte – Sherlock Holmes: Crimes and Punishments. Die beiden Spiele unterscheiden sich grundlegend. Während Crimes and Punishments wenig Raum für Humor lässt, visuell den fotorealistischen Weg geht und euch frei zwischen den Schauplätzen hin und her irren lässt, ist The ABC Murders in einem comichaften Stil, den man mit den Telltale-Spielen vergleichen kann, präsentiert und bietet eine stringente Abfolge von Schauplätzen, lässt hier und da auch eine lockerere Attitüde durchblitzen.
Die Mordserie beginnt im beschaulichen Andover. Poirot und Hastings werden für den Mord an der Tabakladen-Besitzerin Alice Ascher auf den Plan gerufen. Die Spielelemente werden gleich zu Beginn eröffnet: Ihr dürft die Schauplätze frei erkunden, verschiedene Orte näher begutachten und darin Hinweise finden und Zeugen sowie Tatverdächtige beobachten und befragen. Die Schauplätze bestehen meist aus ein bis drei Bildschirmen. Wir können die Leiche näher untersuchen und auch mit Nachbarn sprechen, etwa der feindseligen Obst-Verkäuferin von nebenan. Ähnlich wie Sherlock Holmes in Crimes and Punishments kann Poirot bevor er mit Hinterbliebenen und Zeugen spricht deren Verhalten und Aussehen näher in Augenschein nehmen. Poirot hat ein ähnlich gutes Auge wie Sherlock, ihm fallen Kleinigkeiten wie ungebügelte Klamotten, Blutspritzer, die in eine Richtung weisen oder niedergetrampeltes Gras auf.
In den Gesprächen habt ihr oftmals verschiedene Dialogoptionen. Das Spiel ist komplett englisch vertont und deutsch untertitelt. Die Dialoge sind erfrischen unvermittelt. So könnt ihr stets diverse Zeugen – ähnlich wie der sympathische Cole Phelps in L.A. Noire – des Mordes bezichtigen, sie mit unflätigen Aussagen aus der Reserve locken oder ihnen stets zustimmen. Die Dialoge wirken sich anders als in vielen Spielen spürbar aus und der/die Gegenüber reagiert erzürnt, verwundert oder beruhigt. Das erhöht den Wiederspielwert immens, zumindest macht es den Anschein, dass Zeugen ihre Aussage auch mal gern verweigern, wenn sie sich schlecht behandelt fühlen.
Die Sprachausgabe ist in den meisten Fällen passend umgesetzt. Poirots französischer Dialekt kann einem nach einer Weile etwas auf die Nerven gehen, aber zumindest lockert er immer wieder durch schmunzelhafte Sprüche das Geschehen auf. Eine deutsche Sprachausgabe wäre sicher nicht unangebracht gewesen, wenn man bedenkt, dass im gesamten Spiel geredet wird, der Atmosphäre eines Englands des 20. Jahrhunderts ist die britisch gehaltene Synchro dann aber doch sehr zuträglich.
Die Fälle sind weitaus kürzer als etwa in Crimes and Punishments oder manche der Fälle in L.A. Noire. Doch zumindest sind sie so spannend gehalten, dass man stets deren Ausgang mit angehaltenem Arten verfolgt. Der Fall heißt nicht ohnehin A.B.C. Murders, denn dahinter steckt der Alphabet-Killer, der seit der Veröffentlichung der Romanvorlage stets in der Popkultur und leider auch der Realität durch Nachahmer verankert ist. Relativ bald wird im Spielverlauf klar, wer der Mörder ist, doch am Ende ist nicht alles wie es zunächst schien.
Neben dem Tabakladen in Andover besucht ihr zudem noch weitere Städte, die mit passenden Buchstaben beginnen und hier nicht weiter namentlich erwähnt werden. Ihr untersucht aber etwa ein Badegebiet mit Strand, Pub und Wohnung der Angehörigen des Opfers, eine weitläufige Villa und ein Herrenhaus. Auch die zwischendrin immer gestellten Knobelaufgaben machen Spaß. Es gilt nicht nur Objekträtsel wie “öffne diesen Koffer mit 3.000 Sicherheitsmechanismen” oder Kombinationsrätsel, sondern auch immer wieder kurze Denkaufgaben, in denen Poirot seine gesammelten Beweise miteinander verbindet. Das gibt es in Crimes and Punishment auch und lockert das Rumgelaufe und das Dialoggelausche etwas auf. Im weiteren Spielverlauf gibt es Fälle mit sehr vielen Hinweisen, hier mutierten die einst spaßigen Denkaufgaben eher zu lästigen Trial and Error-Passagen. Nervig ist zudem, dass sie stets vom Satz “und jetzt lasst uns unsere grauen Zellen einsetzen” eingeleitet werden.
Es gibt im Spiel kaum “Hidden Object”-Rätsel. Man muss also nicht stets den gesamten Bildschirm nach Hinweisen absuchen. Es gibt feste Orte, an denen ihr mit Objekten interagieren könnt, ähnlich wie in L.A. Noire. Gegenstände, die sich Poirot als “Beweismaterial” ungeniert einverleibt hat, könnt ihr stets in einer 3D-Ansicht untersuchen. Manches Mal ist das auch ein Muss, um etwa einen Inbussschlüssel richtig auszurichten. Oftmals gilt es auch Objekte in der Spielwelt miteinander zu kombinieren oder die berühmt berüchtigten “richte dieses für den Alltag des Besitzers viel zu kompliziert anmutende Schaubild korrekt aus, um einen Safe zu öffnen.”
Die Geschichten gehen teils unter die Haut, besonders wenn Poirot und Hastings am Ende jeden Falls nach Abschluss der Ermittlungen den Ablauf des Mordes nachstellen. Das geschieht in einer interaktiven Sequenz, in der ihr den durch eine Silhouette dargestellten Mörder spielt und dessen Handlungen auf Basis der gesammelten Beweise vorgibt – schnellt er aus dem Gebüsch hervor und ersticht er sein Opfer oder wartet er bis zum letzten Moment und schneidet ihm die Kehle durch? Macht ihr hier einen Fehler, beginnt die von dramatischer Musik untermalte Szene erneut. Das geht nahtlos und frustriert keineswegs, obgleich der oftmals vielen Möglichkeiten.
Allgemein ist der Soundtrack der gediegenen, aber manchmal aufwühlenden Spielatmosphäre sehr zuträglich. Die orchestralen Klänge untermauern stets das am Bildschirm ablaufende Geschehen. Das Spieltempo ist allgemein sehr entspannt, genau wie die beiden erfahreren Detektive. Manches Mal, wenn es heißt es wäre Eile geboten, und Poirot kann sich aber noch gemütlich einen Kaffee machen, erscheint das Spielgeschehen in Teilen unglaubwürdig. Doch das ist die berühmte Schere von Zwischensequenzen und Gameplay, die es in nahezu jedem Spiel gibt.
Visuell greift der französische Entwickler Artefacts Studios auf einen comichaften Look zurück. Manche der Umgebungen sind malerisch schön, das täuscht aber nicht über die Tatsache hinweg, dass keine der Personen lippensynchron die Dialoge wiedergeben und sich die Mimik und Gestik der Figuren in Grenzen halten. Da die Personen nicht Teil eines Wachsfigurenkabinetts sind, sondern nervöse Tatverdächtige oder trauernde Hinterbliebene darstellen, stört das die Atmosphäre. Hier wäre mehr Detailverliebtheit – so wie man es in den Rätseln gezeigt hat – angebracht gewesen.
Fazit
Agatha Christie – The ABC Murders ist für Freunde von Kriminalromanen und deren Versoftungen ein (es musste kommen) Mordsspaß. Die Abenteuer von Poirot und Hastings lassen euch teils den Atem stocken und das Blut gefrieren, manches Mal aber auch laut aufgähnen, wenn Poirot zum dritten Mal anhand der Briefe des Alphabet-Mörders dessen Schreibmaschinen-Eigenheiten analysiert oder den “graue Zellen”-Satz abspult. Insgesamt macht The ABC Murders aber einiges richtig, bietet eine spannende Fall-übergreifende Haupthandlung voll von Wendungen, vermittelt ein authentisches zeitgenössisches Bild von England im 20. Jahrhunderts und ihr habt bei manchen Rätseln richtig zu knobeln. The ABC Murders ist nicht perfekt, aber der Mörder eben auch nicht, weshalb ihr euch mit Poirot und Hastings aufmachen und ihn fangen solltet. Von den Entwicklern würden wir gerne in Zukunft noch mehr sehen.
Agatha Christie: The ABC Murders erscheint heute digital für PC, PlayStation 4 und Xbox One und am 12. Februar im stationären Handel als Retail-Version.
Agatha Christie – The ABC Murders
Genre: Adventure
System: PC (getestet), PS4, Xbox One
Preis: ca. 29,99 Euro (im stationären Handel und Steam, PSN, XBL) (aktuell um 20% reduziert)
Entwickler: Microïds, Artefacts Studios
Publisher: Gravity Europe SAS, Anum Interactive
This game was provided by the publisher for review purposes, check our review policy for details.