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Zelluloitis - Filmecke

DOK.fest München 2025 – Reframing History, Nie wieder ist jetzt?

In diesem Jahr feiert das DOK.fest München 40-jähriges Jubiläum und wir sind für euch dabei.

105 Filme aus 58 Ländern präsentiert das DOK.fest in diesem Jahr, also vier Dokus und sieben Länder mehr als im vergangenen Jahr, aufbereitet in 19 unterschiedlichen thematisch fokussierten Reihen, darunter vier Filme aus vier Jahrzehnten DOK.fest in der Retrospektive, Nie wieder ist jetzt? (Filme über Erinnerung und Widerstand), Crossing Boundaries (Grenzüberschreitungen: Filme über Migration und ihre Realitäten), Empowered (Filme über Aufbegehren und Selbstermächtigung), Reframing History (Filme darüber, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart formt) und African Encounters (Filme und Dialoge über Klimagerechtigkeit). Während das am 7. Mai gestartete DOK.fest München im Kino heute endet, läuft das @home-Festival noch bis 25. Mai. Die digitalen Vorstellungen kosten 5,- Euro, der @home-Festivalpass ist ab 20,- Euro erhältlich und Tickets sind für manche Filme nur in limitierter Anzahl verfügbar. Nicht alle Filme können digital angesehen werden. Nachfolgend bieten wir euch einen kleinen Einblick in eine Hand voll Filme, die wir im Rahmen des Festivals sehen konnten.

Im Osten Was Neues

Loraine Blumenthal entführt uns in die Kleinstadt Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern. Thomas „Eichi“ Eichstätt trainiert den lokalen Fußballklub ehrenamtlich. Eichi ist Aussteiger aus der rechtsextremen Szene, hat früher gewalttätige Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund geplant und durchgeführt. Heute unterstützt er Spieler wie den Tschetschenen Asadullah „Asad“ Matsagov oder Thomas Bundu aus Sierra Leone mit aufmunternden Worten von der Seitenlinie, in der Kabine und außerhalb des Spielfelds. Alle drei Protagonisten vereint die Leidenschaft für den Fußball und die Suche nach einem Arbeitsplatz. Während der junge Asad versucht einen Ausbildungsplatz zu ergattern, setzt Eichi alle Hebel in Bewegung, um die ukrainischen Flüchtlinge zu integrieren und auch Thomas in Deutschland zu behalten, während er selbst finanziell kaum über die Runden kommt. Eine Minijobstelle beim Verein, das wär’s!

Dabei geht er ganz offen mit seiner von Hass auf Migrantinnen und Migranten geprägten Vergangenheit um und erhält dabei naturgemäß gemischte Reaktionen. Die Protagonisten vereint auch, dass sie Zielscheibe rechtsextremer Gewalt sind – von psychologischer bis physischer Natur. Das Thema wird zwar nicht plakativ ausgeschlachtet und kommt immer wieder auf subtile Weise auf, nimmt aber auch etwas wenig Zeit im Film ein. Im Osten Was Neues liefert einen authentischen Einblick in das Dorfleben in den neuen Bundesländern. Die Doku behandelt kritische Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Freundschaft und Zugehörigkeitsgefühl aus unterschiedlichen Perspektiven und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl bis zum herzzerreißenden Ende.

Songs of Slow Burning Earth

Regisseurin Olha Zhurba zeigt die Ukraine kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022. In überfüllten Bahnhofshallen quetschen sich Menschenmassen in die Züge, Kinder werden in letzter Sekunde an Bord gebracht, Familien zerrissen. Die Arbeit in einer Brotfabrik geht unermüdlich weiter, auch wenn die Artillerieeinschläge hörbar nahe sind. Bei der Essensausgabe zucken die Einwohnerinnen und Einwohner noch zusammen, schon bald gewöhnt man sich an die ständigen Luftalarme. Die Szenen werden von eingehenden Notrufen miteinander verbunden. Beides – die Essensausgabe und die Notrufe – spielen auch eine integrale Rolle in einer weiteren neuen Doku zu den ersten Kriegstagen, Spetsialna Operatsiia (Special Operation), die auf der diesjährigen Berlinale gezeigt wurde. Auch hier werden unkommentiert die Machenschaften der Besatzer gezeigt, allerdings beschränkt auf die Besatzung des Kernkraftwerks Tschernobyl aus der Sicht von Überwachungskameras – für Interessierte definitiv einen Blick wert.

Wir sehen, wie an einer ukrainischen Schule Kinder nach ihren Wünschen befragt und an russischen Schulen zum Appell angetreten wird, etwas das Dreh- und Angelpunkt in Mr. Nobody Against Putin ist, der ebenfalls Teil des diesjährigen DOK.fest ist und über den wir bereits berichtet haben. In Butscha und anderen Orten werden Massengräber gefunden und es wird untersucht, ob Kriegsverbrechen begangen wurden. Ein kleiner Junge schildert auf explizite Art, welche Grausamkeiten er während der Besatzung erlebt hat. 1.000 Kilometer entfernt von der Front begleiten wir ein Fahrzeug, das seinen Weg durch zahlreiche Ortschaften macht. Am Wegesrand sammeln sich immer mehr Menschen, die auf die Knie gehen. Erst nach einer Weile erfahren wir, dass hier ein gefallener Soldat beerdigt wird. Songs of Slow Burning Earth besteht aus ganz unterschiedlichen Eindrücken, die unkommentiert noch intensiver wirken. Die ätherische Musik und der exzellente Schnitt machen Songs of Slow Burning Earth zu einem hautnahen Einblick in einen erbarmungslosen Krieg mitten in Europa.

Die Grünen – Aufstieg und Krise einer deutschen Partei

In einer 105-minütigen dreiteiligen Serie, die von ZDF Frontal und Other People Pictures koproduziert wurde, blicken Hauke Wendler und Lisa Maria Hagen auf die Geschichte der Partei Bündnis 90/Die Grünen zurück. Dabei kommen zahlreiche Zeitzeugen aus der Partei zu Wort und Archivmaterial wird qualitativ hochwertig aufbereitet gezeigt. Zu den Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen zählt die Crème de la Crème der Parteihistorie: von Gründungsmitgliedern  und Parteimitgliedern aus den ersten Jahren der Grünen im Bundestag wie Lukas Beckmann (erster Bundesgeschäftsführer der Grünen), Ludger Volmer (ehem. Staatsminister im Auswärtigen Amt), Ralf Fücks (ehem. Bürgermeister von Bremen) und Joschka Fischer (ehem. Vize-Kanzler und Außenminister), bis hin zum aktuellen Bundesvorsitzenden Felix Banaszak, der ehemaligen Bundessprecherin der Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich und dem ehemaligen Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht Tareq Alaows.

Die Doku springt immer wieder zwischen den zeitgeschichtlichen Epochen der Partei hin und her, von der Friedensbewegung Ende der 60er rund um Rudi Dutschke und den gewaltsamen Ausschreitungen vor dem Axel-Springer-Gebäude, den Anti-Atomkraft-Demonstrationen in Gorleben 1979 über die Gründung der Grünen 1980 von Petra Kelly, Otto Schily & Co. und den Einzug in den Bundestag 1983. Schon damals hatten die Grünen mit viel Widerstand zu kämpfen, sowohl innerparteilich als auch von Rechtsradikalen, die etwa das Auto der Lebensgefährtin des Geschäftsführers Beckmann sabotierten oder Morddrohungen an die Bundestagsabgeordnete Kelly richteten. In der ersten Regierungsbeteiligung an der Regierung Schröder 1998 schieden sich spätestens die Geister und viele aus der 68er-Bewegung konnten den Kurs von Außenminister Fischer nicht mitgehen, als im Bosnienkrieg aufgrund des Völkermordes von Srebrenica 1995 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen bewaffneten Einsatz geschickt wurden. Der Atomausstieg der Regierung Merkel nach der Katastrophe in Fukishima 2011 konnte nicht den Grünen zugeschrieben werden, doch zehn Jahre später beteiligten sich die Grünen erneut an einer Bundesregierung. Parallel zu den Klima-Demos gegen den Kohleabbau in Lützerath 2023 werden die Zustimmungswerte von den Rechten immer höher und in Kombination mit einer bestenfalls unglücklichen Kommunikation werden die Anfeindungen und Proteste immer rabiater. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Kanzlerkandidat für Bündnis 90/Die Grünen in der diesjährigen Bundestagswahl Robert Habeck kommt zwar oft in Reden zu Wort, hat aber für diese Doku nicht Rede und Antwort gestanden. Bei der Wahl ist die Partei auf elf Prozent abgesackt und die Doku konkludiert, die Grünen hätten das Land und sich selbst verändert, doch wenn sie vergessen würde, wofür sie einst angetreten sei, werde sie entbehrlich, als Zumutung für die Politik und das ganze Land, denn auch das würde die Demokratie brauchen.

Die Grünen – Aufstieg und Krise einer deutschen Partei bietet einen guten Überblick über die Entwicklung der Partei, einen wertvollen Einblick in den Anfeindungen geprägten Arbeitsalltag der ehrenamtlichen Lokalpolitikerin Marie-Luise König als einziges Grünen-Mitglied im Stadtrat Bitterfeld-Wolfen/Sachsen-Anhalt und zeigt sich wiederholende Muster auf, wirkt insgesamt aber etwas oberflächlich und in der Struktur etwas wirr und ziellos. Taco van Hettingas Musikuntermalung erinnert an die Netflix-Serie Dark, wodurch der Film manchmal mehr wie ein Unterhaltungsstreifen als eine Polit-Doku wirkt. Für alle Politik-Interessierten ist die Die Grünen – Aufstieg und Krise einer deutschen Partei empfehlenswert.

Blame

Blame ist nach eigener Beschreibung ein Film über Fledermäuse, Politik und einen Planet, der aus den Fugen geraten sei. Desinformationen wären zu einem bewussten Instrument für politische Zwecke zum Angreifen und Diskreditieren von Fachleuten in Wissenschaft und Gesundheitswesen geworden, so ein im Film aufgegriffenes Editorial des renommierten Wissenschaftsmagazins The Lancet aus dem Januar. 2003 bricht die SARS-Epidemie in Hongkong aus. Mehr als zehn Jahre lang forschen Linfa Wang, Zhengli Shi und Peter Daszak, auch „Bat Pack“ genannt, im Institut für Virologie in Wuhan/China nach dem Ursprung des Virus und finden ihn in einer Höhle in einer Fledermaus. In einem Kupferbergwerk entnimmt Zhengli Shi mehrere Proben, mit der sie einen „Cousin“ des späteren SARS-CoV-2-Virus entdeckt. Nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie erlangt das Institut weltweite Bekanntheit. Es geistern unterschiedliche Theorien zum Ursprung der Pandemie durch die Medien, doch bislang konnte nichts Konkretes gefunden werden. Der schweizerische Regisseur Christian Frei begleitet das Trio bei ihren Recherchen in China, dem One Health Congress 2022 in Singapur und einem Treffen mit Journalisten in Thailand und kommentiert das Geschehen im Werner Herzog-Stil mit sonorer Stimme aus dem Off.

Während Daszaks seit den ’70ern existierende Nicht-Regierungsorganisation EcoHealth Alliance mit der Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im vergangenen Jahr die Finanzierung verliert und die Schotten dicht machen muss, erhält er Morddrohungen und unbegründete Verschwörungstheorien gehen in den Mainstream über. Die Tatsache, dass Virologen und Wissenschaftler das Virus auf einem Feinkost-Nassmarkt in Wuhan gefunden und Marderhunde als wahrscheinliche Überträger des Virus an den Menschen identifiziert haben, geht dabei unter. Blame lässt nicht nur die Protagonistinnen und Protagonisten ausreichend zu Wort kommen – im Unterschied zu der Anhörung Daszaks vor dem US-Kongress -, der Film spielt auch mit der Erwartungshaltung der Zuschauenden. Drohnenaufnahmen zeigen uns einen bedrohlich wie faszinierend wirkenden Schwarm aus Fledermäusen – das dachten wir zumindest bis der Regisseur uns vor Augen führt, dass wir mehrere Zehntausend Mauersegler sehen, die während ihr Morgenroutine versuchen lediglich einige Hundert Fledermäuse zu passieren – „missverstandene Säugetiere, genau wie Wissenschaftler,“ kommentiert Frei an anderer Stelle. Etwa 80.000 Virusarten sollen weltweit grassieren, von denen wir nur einen Bruchteil kennen. Im Zeitalter von Desinformationen ist Blame ein wichtiger Beitrag dazu, faktenbasierte Berichterstattung zu stärken und genauer hinzusehen, bevor man jemandem Schuld zuspricht.

Preise und Lobende Erwähnungen

Das sind die Preisträgerinnen, Preisträger und Lobenden Erwähnungen des 40. DOK.fest München:

  • Silent Observers (Regie: Eliza Petkova) – VIKTOR DOK.international Main Competition (Preisstifter: Bayerische Rundfunk, dotiert mit 10.000 Euro)
  • The Invisible Contract (Regie: Luciana Kaplan) – Lobende Erwähung
  • Wir Erben (Regie: Simon Baumann) – VIKTOR DOK.deutsch Wettbewerb (Preisstifter: Sky, dotiert mit 7.500 Euro)
  • Rashid, l’enfant de Sinjar (Regie: Jasna Krajinovic) – VIKTOR DOK.horizonte Competition – Cinema of Urgency (Preisstifter: Petra-Kelly-Stiftung, dotiert mit 5.000 Euro)
  • Woman/Mother (Regie: Klara Harden) – megaherz Student Award (Preisstifter: megaherz, dotiert mit 3.000 Euro)
  • The Disappearance of Our Moments (Regie: Ahmad Siyar Noorza) – Lobende Erwähnung
  • Das fast normale Leben (Regie: Stefan Sick) – VFF Dokumentarfilm-Produktionspreis (Preisstifter: VFF Verwertungsgesellschaft der Film und Fernsehproduzenten mbH, dotiert mit 7.500 Euro)
  • Vracht (Komposition: Mirjam Skal, Regie: Max Carlo Kohal) – Deutscher Dokumentarfilm-Musikpreis (Preisstifter: Versicherungskammer Kulturstiftung, dotiert mit 5.000 Euro)
  • A Sudden Glimpse to Deeper Things (Schnitt: Timo Langer, Regie: Mark Cousins) – DOK.edit Award – presented by Adobe (Preisstifter: Adobe, dotiert mit 5.000 Euro)
  • Patrice: The Movie (Regie: Ted Passon) – all inclusive Award – Preis für inklusive Dokumentarfilmproduktionen (Preisstifter: Werksviertel-Mitte Stiftung, dotiert mit 5.000 Euro)
  • Rashid, l’enfant de Sinjar (Regie: Jasna Krajinovic) – DOK.fest Preis der SOS-Kinderdörfer weltweit (Preisstifter: B.O.A Videofilmkunst, dotiert mit 3.000 Euro)
  • Writing Hawa (Regie: Najiba Noori) – kinokino Publikumspreis, gestiftet von BR und 3sat (Ausgeschrieben und gestiftet von kinokino, dem Filmmagazin von BR und 3sat und dotiert mit 2.000 Euro)

Die Gewinnerinnen und Gewinner des DOK.forum 2025:
Febre Tropical / Tropical Fever

  • Febre Tropical / Tropical Fever (von Andy Malafaia und Carolina Höfs) – DOK.archive Award (Preisstifter: British Pathé, dotiert mit 22.500 Euro Beistellung (oder alternativ 2.500 Euro))
  • Der Engelmacher (von Marina Klauser, Komponistin: Mirjam Skal) – DOK.composition Award (Preisstifter: Sonoton Music und gefördert von Förderungs- und Hilfsfonds des Deutschen Komponist:innenverbands, dotiert mit 2.500 Euro)
  • Traces of Responsibility

  • Traces of Responsibility (von Anja Reiß und Jann Anderegg) – DOK.digital – Preis für neue Erzählformate (Preisstifter: BLM, dotiert mit 2.500 Euro)
  • Familie, LOL (von Patrick Wira) – DOK.talent Award (Preisstifter: SÜDKINO Filmproduktion, dotiert mit 2.500 Euro)
  • Junge Männer (von Bahar Bektaş) – DAE Talent Award
  • Familie, LOL

  • 2050: A Cyber Odyssey (von Anna-Sophia Richard) – Impronta Film Award
  • The Wars We Play (von Anton Yaremchuk und João Pedro Prado) – Baltic Sea Docs Award
  • Dvigubas Autoportretas / Double Self Portrait (von Aistė Stonytė) – FIPADOC Award
  • Walking Alone, Text You When I’m Home (von Vincent Abert) – Docs Barcelona Award

Die Gewinnerinnen und Gewinner des Dokumentarfilmwettbewerbs für Junge Menschen DOK.education, die Preise im Gesamtwert von 1.100 Euro, gestiftet vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV e.V. und dem DOK.fest, mit nach Hause nehmen können, standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Das DOK.fest München gewährte uns Zugang zur Veranstaltung. Die Fotos wurden vom DOK.fest München zur Verfügung gestellt.