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Im Test: El Shaddai – Ascension of the Metatron

Wenn ein kleines, unbekanntes und zudem japanischen Entwicklerstudio namens Ignition Tokyo vier lange Jahre ziemlich unspektakulär und verborgen an einem Spiel mit dem Titel El Shaddai arbeitet, erwartet man außer klassischem Japano-Gedöns nicht viel.

Artikel-Autor: Niklas

Schaut man sich aber die Zusammenstellung des Teams genauer an, merkt man, dass dieser Titel bei weitem nicht so unscheinbar sein wird, wie er zunächst wirken mag.

Ignition Tokyo ist nämlich trotz ihres geringen Bekanntheitsgrades gespickt mit vielen innovativen Ideen und durchgeknallten japanischen Entwicklern. Die meisten Japaner dieses Teams haben an Titeln wie Okami und Devil May Cry mitgearbeitet, und zuletzt das umstrittene aber innovative Deadly Premonition entwickelt.

An Kreativität mangelt es bei diesem Entwicklerteam kein bisschen, zumindest was Design angeht, und das macht sich bei El Shaddai deutlich bemerkbar. In einer Zeit, in der bei jedem erfolgreichen Spiel Multiplayer und Bewegungssteuerung auf der Speisekarte stehen müssen, kocht El Shaddai einfach japanisch kreativen Eintopf verfeinert mit einer Prise Wahnsinn und überflutet die Küche mit bisher ungesehenen Reizen.

Im Himmel ist die Hölle los

Die Geschichte von El Shaddai ist so verwirrend wie absurd und doch beruht sie auf einer hebräischen Bibelgeschichte. Während des Spiels werdet ihr wenig von der Storyline mitbekommen, wenn ihr nicht gezielt darauf achtet. Aber das ist auch gar nicht schlimm, da ihr sowieso beschäftigt genug seid. Jedoch wird euch so eine Geschichte in den nächsten Jahren nicht mehr in einem Videospiel begegnen.

Gottes Sieben Engel haben keine Lust mehr auf Gott und seinen Himmel und machen sich aus dem Staub – genauer gesagt auf die Erde. Die Engel nehmen sich irdische Frauen und Kinder und treiben Unfug auf der Erde. Unfug bedeutet in diesem Zusammenhang sie feiern ausgelassen und machen Randale auf unserem Planeten. Diese riesige Party auf der Erde erklärt auch das verrückte Design des Spiels, was weniger wie eine Party, mehr wie ein japanischer Fiebertraum auf LSD ausschaut. Papa Gott hält wenig von dem Plan der Engel seine sieben Tage Arbeit aufzumischen. Zornig sucht Gott jemanden, der die Engel zur Vernunft bringt und zurück in den Himmel holt. Und hier kommt ihr ins Spiel.

Enoch in Rüstung einsam in die Welt gesetzt
Enoch in Rüstung einsam in die Welt gesetzt

Natürlich findet Gott keinen Besseren für diesen Auftrag als euch, Enoch, Gottes Schreiberling und Gelehrter, der mit allen Fähigkeiten ausgestattet wird, die er braucht, um die Engel zur Rückkehr zu „überzeugen“. Zusammen mit den Erzengeln, welche Jeans mit Hemden tragen, ein Fable für durchsichtige Plastikregenschirme haben und stets in Telefonverbindung mit Gott stehen, macht ihr euch auf den Weg zum Turm von Babel, wo sich die ausgebrochenen Engel vor Gott verstecken. So hüpft ihr im gepflegten Jump’n’Run-Stil durch die Stockwerke und begegnet komischen Levelarchitekturen und noch komischeren Wesen wie zum Beispiel laufenden Kotwürsten. Jedoch sind die Jump’n’Run-Passagen in den 3D-Abschnitten ein wenig störrisch, da die Kamera etwa fünf Meter hinter Enoch befestigt ist und sich nur nach rechts oder links bewegt. Dies führt manchmal zu ungewollten Abstürzen beim Springen über kegelförmige Gebilde, was aber nicht weiter schlimm ist, da die Checkpoints sehr sinnvoll gesetzt sind. Bei aller Rechtfertigung durch die Checkpoints nervt so ein Absturz trotzdem, hätte er doch mit einer anständigen Möglichkeit die Kamera zu führen vermieden werden können, da die Steuerung in diesem Falle sehr eigenwillig und unpräzise ist.

Abstrakte Welten in 2D
Abstrakte Welten in 2D

Die 2D-Passagen jedoch sind nicht nur grafisch, sondern vor allem spielerisch sehr erfrischend. Sie spielen sich sehr locker und kurzweilig und die Kameraperspektive wechselt von der störenden Third-Person-Ansicht in die klassische 2D-Perspektive.

Seid ihr durch ein Stockwerk durch erwartet euch einer der sieben Engel als Endboss. Diese nehmen verwirrende Gestalten an und fordern im klassischen Hack’n’Slay-Action-Adventure-Stil kämpferisches Geschick. Allgemein ist der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe nichts für kleine Mädchen, trotz der Tatsache, dass man nicht sterben kann, wenn man beim Abkratzen von Enoch nur schnell genug auf die Tasten hämmert. Dieses Feature hört sich an wie ein Bonus für jeden der mit der Steuerung nicht klar kommt, jedoch bringt dies einem gar nichts, wenn man das taktische und kämpferische Geschick nicht aufbringen kann, um die Gegner zu besiegen. Enoch bekommt zu Beginn jedes Stockwerkes eine Waffe zugesprochen, die ihr selbst wählen dürft am Ende der 2D-Passage. Ihr könnt jedoch auch geschwächten Gegner einfach deren Waffen abnehmen und ihnen so ihre Deckung zerstören, um sie dann im wahrsten Sinne des Wortes mit ihrer eigenen Waffe zu schlagen. Habt ihr euch bis zu einem der Engel durchgeschlagen, erwartet euch ein Kampf, der euch auch taktisch so einiges abverlangt, um die Ausgebrochenen auf direktem Weg wieder in den Himmel zu schlagen, denn viele Möglichkeiten bei der Variation eurer Moves bietet euch Enoch nicht.

Der Herr wird dich schlagen mit Wahnsinn und Verwirrung des Geistes. (5.Mose 28,28)

Habt ihr euch bei einer dieser brachialen Meinungsverschiedenheiten durchgesetzt, werdet ihr von einem der Erzengel in Jeans empfangen, Gott wird benachrichtigt und ihr macht euch auf zum nächsten Stockwerk. Hier macht sich erst die Brillanz des Leveldesigns von El Shaddai bemerkbar. Jedes Level ist komplett anders gestaltet, wobei sich der Surrealismus und der Stil durchgängig halten. Man findet sich im ersten Moment in einem komplett bunten Farbenchaos und zehn Minuten später schon wieder in einem schwarz-weißen surrealistischen Alptraum. Zum Schluss findet man sich in einem Wasserfarbengemälde eines Drittklässlers wieder. Der Kreativität, dem Wahnsinn, dem LSD oder wie man die Quelle dieses Designs auch nennen mag, sind scheinbar keine Grenzen gesetzt bzw. die Entwickler scheinen nicht einmal zu wissen, wie man „Grenzen“ schreibt, zumindest wenn man die Optik des Spiels betrachtet.

Surrealismus und abgefahrenes Leveldesign
Surrealismus und abgefahrenes Leveldesign

Levelbegrenzungen jedoch scheinen sie zu kennen, denn manche der Abschnitte sind linear wie die Road 66, aber der Wiedererkennungswert der Einzelnen ist durchaus gegeben. In manchen Stockwerken fühlt man sich wie im Himmel, in anderen brennt man in der Hölle. Es gibt etliche Momente, in denen man am liebsten den Controller weglegen würde und einfach nur das Design, nicht die technische Grafik, sondern einzig und allein den abgefahrenen, aber oft wunderschönen Stil von El Shaddai bestaunen will.

Entgegen der klassischen Energiebalken in solchen Spielen wird Enoch mit schwindender Gesundheit immer nackter, bis er am Ende in Blue Jeans stirbt, wenn ihr nicht auf ihn aufpasst. Ansonsten ist die Spielweise von El Shaddai jedoch sehr konventionell, wie wir sie von anderen Action-Adventures wie Devil May Cry oder God of War kennen.

Die Steuerung ist zwar kein herausragendes Element des Epos’, jedoch muss sich El Shaddai auch abseits des Kreativitätsspielplatzes nicht vor den anderen Kindern des Genres verstecken, sondern kann es durchaus spielerisch mit einem Devil May Cry oder Bayonetta aufnehmen.

Fazit

Abschließend gilt zu sagen: El Shaddai ist wie das kleine nervige Nachbarskind, das uns allen auf die Nerven geht. Es ist bunt, macht nicht was man ihm sagt und schämt sich nicht, allen anderen einen Arschtritt zu verpassen. Es schwimmt vollkommen gegen den Strom, aber dennoch nicht in die falsche Richtung. Alles was El Shaddai macht macht es gut, nur kann man darüber streiten ob es sinnvoll ist zu machen was El Shaddai macht. Wenn man Interesse am Erforschen dieser kleinen durchgeknallten Kinder hat, ist El Shaddai genau das richtige Spiel, jedoch mag der Cocktail aus LSD-Stil verbunden mit klassischen Action-Adventure- und Jump’n’Run-Elementen und kräftig durchgeschüttelt nicht jedermann Sache sein, aber wer sich darauf einlässt wird mit der abgefahrenen Geschichte und dem japanischen Fiebertraum namens El Shaddai voll auf seine Kosten kommen.

"Hallo Gott? Wollte nur sagen, dass El Shaddai ein krasses Spiel ist."
“Hallo Gott? Wollte nur sagen, dass El Shaddai ein krasses Spiel ist.”

Ich gehe sogar noch weiter und sage: Freunde der Kreativität und Gegner des Mainstreams kauft euch dieses Spiel, denn keines wie El Shaddai wird sich in den nächsten Jahren mehr der Zockerwelt offenbaren. Wer genug hat von dem ewig gleichen Call of Dutys, Uncharteds und Assassins Creeds sollte unbedingt einen Blick auf dieses Prachtstück wagen. Es mag kein AAA-Titel sein, und längst nicht so perfekt. Aber in seiner eigenen kleinen durchgeknallten Welt, in die man sich als Spieler für knappe fünf Stunden fallen lässt, ist es ein kleines Kunststück und hoffentlich ein Türöffner für andere Projekte dieser Art.

nd/olp

El ShaddaiEl Shaddei: Ascension of the Metatron
Genre: Action-Adventure
System: PlayStation 3, Xbox 360
Preis: ca. 13 Euro
Entwickler: UTV Ignition Tokyo
Publisher: UTV Ignition / Konami