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Test

Im Test: Thimbleweed Park

Das vor 2,5 Jahren per Crowdfunding finanzierte Adventure-Projekt der Genre-Urgesteine Ron Gilbert und Gary Winnick Thimbleweed Park ist erschienen. Wir klären im Test, ob man bloß auf der Retro-Welle oder ein gutes Point’n’Click-Adventure auf die Beine gestellt hat.

In dem kleinen Örtchen Thimbleweed Park wurde ein Mann auf brutale Art und Weise ermordet. Die beiden FBI-Agenten Angela Ray und Antonio Reyes werden auf die Reise geschickt, den Mörder dingfest zu machen. Die folgenden 10 bis 15 Spielstunden gehen weit über das Lösen eines Mordfalles hinaus.

Anmerkung: Dies repräsentiert einen Gitterlinien-Prototyp des Spiels, nicht eigentliche Spielgrafik.

Geschichte

Die Aufgabe des ungleichen Agentenduos ist es den Mord aufzuklären. Dabei treffen die Staatsbediensteten auf über 40 Charaktere mit eigenen Hintergrundgeschichten und Persönlichkeiten. Da möchte man meinen, dass dadurch die Hauptstory aus den Augen verloren werden kann und etwas verwässert. Da jede Figur sinnvoll in die Geschichte eingebettet ist, bestätigt sich diese Befürchtung gar nicht. Wir erleben das Geschehen nicht nur aus der Perspektive von Ray und Reyes, wir dürfen zusätzlich noch in die völlig unterschiedlichen Rollen des Beleidigungsclowns Ransome, der jungen Videospielentwicklerin Delores und des Bruders des lokalen Industriemagnaten Franklin schlüpfen.

Das Spiel ist in 9 Kapitel unterteilt. Innerhalb dieser Kapitel erhalten wir nach und nach die Kontrolle über die oben aufgeführten Figuren, nachdem wir deren Vergangenheit in Form einer spielbaren Rückblende erlebt haben. Diese Sequenzen sind ebenso wie die Hauptstory äußerst charmant in Szene gesetzt. Als Beleidigungsclown Ransome müssen wir uns auf unsere Show vorbereiten und in Adventure-Tradition unser Inventar füllen. Damit wir mit Make-up, roter Nase und Beleidigungsbuch die Bühne unsicher machen können, müssen wir etwa in Erfahrung bringen, wie viele Kinder Schausteller Joe in die Welt gesetzt hat, um damit den eigenen Safe zu öffnen. Vor lauter Alkohol-Exzessen kann sich der ranzige Clown nicht an den Zahlencode erinnern.

In der Rückblende von Delores lernen wir hingegen kennen, wie es ist, in der pompösen Villa Mansion Mansion (ja, richtig gelesen) am Stadtrand aufzuwachsen. Delores Vater ist Chuck Edmund, der für die Automatisierung der Stadt verantwortlich ist und seiner Tochter sein mächtiges Kissen-Imperium hinterlassen möchte. Delores’ sehnlichster Wunsch ist es hingegen, Adventures für MmucasFlem Games zu entwickeln. Hier entsteht nicht nur eine emotionale Familiengeschichte, wir werden überhäuft von satirischen popkulturellen Anspielungen.

Da Thimbleweed Park im Jahr 1987 angesiedelt ist, gibt es diverse Seitenhiebe an Star Wars, die Fehde zwischen LucasFilm Games und Sierra On-Line, die Tonight Show oder bekannte Getränkemarken. Insbesondere das Thema Entwicklung von Adventure-Spielen wird intensiv behandelt. Schon auf unserem Weg nach Thimbleweed Park treffen Ray und Reyes auf die Bastle Bros.. ehh.. Pigeon Bros., die eigentlich Schwestern sind, deren Vater hatte aber schon den Truck vor deren Geburt beschriftet und ist zu geizig umzulackieren. Wie dem auch sei, es entbrennt ein langer Dialog über die Entwicklung von Point’n’Click-Adventures und deren Vorgaukelung spielerischer Freiheit. Das Thema zieht sich durch das ganze Spiel und auf sympathische Weise packen sich Ron Gilbert und Gary Winnick auch am eigenen Schlafittchen.

Durch den häufigen Wechsel der Lokalitäten, das schillernde Ensemble an interessanten Charakteren und nicht zuletzt durch das tolle Drehbuch, motiviert die Geschichte durchwegs, bis man den Abspann über den Röhrenbildschirm flimmern sieht. Thimbleweed Park ist eine der wenigen Videospielgeschichten, die ein viel größeres Spektrum annimmt, als man zu Beginn auch nur erahnen kann.

Gameplay

Bei Thimbleweed Park handelt es sich um ein klassisches Point’n’Click-Adventure. Habt ihr die spirituellen Vorgänger Maniac Mansion und Monkey Island gespielt, dürftet ihr euch spielerisch wie zu Hause fühlen. Während sich oben die Figuren in 2,5D bewegen und Dialoge austauschen, finden sich unteren Bildschirmrand 9 Befehle und das Inventar wieder. In klassischer Adventure-Manier klickt ihr einen Befehl wie “Öffne”, “Drücke” oder “Nutze” an und könnt anschließend entweder mit der Umgebung interagieren oder Gegenstände aus eurem Inventar verwenden. Befürchtet ihr nun, es könnte Rätsel mit absurden Lösungen geben, bei denen ihr wirr Gegenstände kombinieren müsst, können wir euch beruhigen. So gut wie jedes Item, das ihr findet, hat auch einen spielerischen Sinn. Feuer erzeugt ihr nicht mit einem elektrisierten Pudel, den man an einem Baum reibt, sondern ihr verwendet trockenes Feuer, Benzin und, nun ja, Soja-Sauce.

Die gewisse Priese Wahnsinn ist in Thimbleweed Park enthalten, das ist aber auch richtig so, sonst wäre es eben kein Point’n’Click-Adventure im Stile der ikonischen Genre-Vertreter der 80er. Damit es nicht zu bunt wird und ihr die faszinierende Geschichte genießen könnt, ohne zu lange zu Puzzlen, gibt es auch einen einfachen Schwierigkeitsgrad, in dem ihr viele Items direkt in die Hand gelegt bekommt.

Ein weiteres Markenzeichen von Adventures sind für gewöhnlich lange Laufwege. Dadurch, dass jeder Charakter im Laufe des Spiels eine Karte erwirbt, mit dem er die Stadt und Außenbezirke blitzschnell bereisen kann, wird dieses Problem entschärft. Auf der hübschen Karte könnt ihr zwar nicht jedes Geschäft einzeln anwählen, ihr könnt aber immerhin die drei Straßen Thimbleweed Parks einzeln auswählen. Ebenfalls komfortabel ist die Tatsache, dass ihr beim erneuten Betreten eines Gebiets direkt den Raum betretet, der für das weitere Voranschreiten im Spiel relevant ist.

Zwar handelt es sich hier um ein Point’n’Click-Adventure, da das Spiel aber auch auf Konsole erhältlich ist, gibt es auch eine Controller-Unterstützung. Wir haben das gesamte Spiel mit dem Controller durchgespielt und haben der Steuerung gegenüber gemischte Gefühle. Terrible Toybox hat sich durchaus Gedanken gemacht, die Steuerung mit dem Controller komfortabel gestalten zu wollen. Mit den Analog-Sticks und A-Taste bestimmt ihr, wo sich der Charakter hinbewegen soll, mit dem digitalen Steuerkreuz erhaltet ihr schnellen Zugang zu den Befehlen und den Gegenständen in eurem Inventar und mit LB und RB schaltet ihr zwischen den am Nähsten gelegenen Interaktionspunkten in der Spielwelt hindurch.

Hinzu kommt, dass ihr mit X den für das für den jeweiligen Interaktionspunkt wahrscheinlichste Kommando verwendet, etwa das Öffnen von Türen oder das Untersuchen von Gegenständen. Wir hätten uns gewünscht, dass man etwa das Steuerkreuz selbst mit den Befehlen bestücken könnte, die man am häufigsten verwendet. In der jetzigen Form wirkt die Pad-Steuerung eher unnötig kompliziert und überladen. So haben wir in vielen Rätseln ganz auf die vermeintlichen Komfortfunktionen verzichtet und alles mit dem linken Analog-Stick ausgewählt.

Technik

“Wieder ein Spiel im Pixel-Look?” “Wenn ich die Pixel zählen will, kann ich den Super Nintendo meines Opas aus der Mottenkiste holen.” Solche Kommentare mag es wohl häufig von jüngeren Spielern geben, die Thimbleweed Park das erste Mal sehen. Visuell macht das Adventure einiges her, was enorm zur dichten Atmosphäre beiträgt. Im Thimbleweed Nickel, die Redaktion der Lokalzeitung, schimmert ein oranges Licht durch die Stapel an alten Zeitungen und taucht das holzvertäfelte Haus in ein warmes Licht. In der rund um die Uhr geöffneten Postfiliale herrscht hingegen das hektische Treiben des einzigen Postboten, es fällt fahles blaues Licht auf den Marmorboden, während George die unlustigsten Beamtenwitze vom Stapel lässt.

Der fabelhafte Soundtrack trägt einen großen Teil zur Stimmung bei. Besonders das Lied im Kwik-E-Mart.. eh.. Quickie Pal werden wir in Gedanken regelmäßig im Supermarkt summen. Nicht zuletzt die hervorragende englische Sprachausgabe haucht den Figuren Leben ein. Besonders hoch ist die Leistung des Synchronsprechers einzuordnen, der gleich drei Figuren im Spiel spricht, was in einem Spiel voller Metaebenen natürlich auch thematisiert wird. Boris Schneider-Johne hat das Spiel auf eine tolle Art in’s Deutsche übersetzt. Er hat es nicht nur hinbekommen, die Besonderheiten der Sprachen zu adaptieren (der irische Akzent des Hausmeisters der Mansion Mansion wurde vom Rheinländer in’s Bayerische übersetzt), sondern auch zeitgenössische Formate zu lokalisieren. Statt der Tonight Show wird eben Wetten, dass? oder sogar ein Werner-Film referenziert. Da verzeiht man, wenn die ein oder anderen Buchstaben fehlen.

Fazit

Thimbleweed Park ist ein großartiges Point’n’Click-Adventure mit fantastischen Dialogen, toll ausgearbeiteten Figuren und kontemporärer Geschichte. Wider Erwarten ist es nicht nur ein Spiel für die ältere Zielgruppe und reitet eben nicht faul auf der Nostalgie-Welle, es führt auch eine jüngere Zielgruppen an ein zu Unrecht vergessenes Genre und an eine goldene Ära heran, die mit diesem und ähnlich gelagerten Spielen hoffentlich eine erneute Renaissance erfährt. Der Anspruch an den Spieler reicht im schwierigeren der beiden Modi von einfach bis moderat. Knobel-Veteranen dürften sich durch die Rätsel tendenziell unterfordert fühlen, freuen sich hingegen über zahlreiche zu entdeckende Zuckerle. Durch fünf spielbare Charaktere erhöht man nicht nur den Wiederspielwert, da stets andere Dialoge über die Mattscheibe laufen, man erhöht die spielerische Freiheit, was angesichts der Geschichte des Spiels absurd klingt. Unseren Informationen zufolge gibt es keine verschiedenen Enden, das ist aber auch nicht nötig, denn der Abschluss ist äußerst befriedigend. Thimbleweed Park hat trotz seines epochalen Charakters zeitlose Qualitäten wie die Welt von South Park oder Zurück in die Zukunft. Wir würden uns freuen, zurückkehren zu dürfen (Prequel?).

 

Thimbleweed Park
Genre: Adventure
Systeme: PC/Mac (getestet), Xbox One
Preis: ca. 20 Euro (Steam, GOG / Xbox Live)
Entwickler: Terrible Toybox
Publisher: Terrible Toybox

This game was provided by the publisher for review purposes, check our review policy for details. Every screenshot has been taken by us with the Steam version.

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