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Im Test: Sea of Solitude

In Sea of Solitude schickt das Berliner Studio Jo-Mei Games den Spieler auf eine aufwühlende Reise voll von Einsamkeit, Zuversicht, Eintracht, Ekstase und Enttäuschung.

In dem Action-Adventure für PlayStation 4, Xbox One und PC verarbeitet das verwunschene Mädchen Kay einen tragischen Schicksalsschlag und muss ihre Lieben, und nicht zuletzt sich selbst, aus der Gestalt von Monstern befreien.

Die Geschichte von Sea of Solitude behandelt das Thema Einsamkeit, unter das eindeutig auch bedeutungsvolle Themen wie Depression und Suizidgefahr fallen. Den Autoren ist es gelungen, eine glaubhafte Story zu erzählen, dabei auf übernatürliche Elemente zurückzugreifen und die sensible Thematik mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und dem erforderlichen Fingerspitzengefühl zu behandeln. Kay trifft auf ihrer Bootsreise auf unterschiedliche Monster, die Personen aus ihrem nahen Umfeld symbolisieren, etwa ihr kleiner von seinen Mitschülern gehänselter Bruder Sunny, ihr zusehends sich von ihr entfernender Freund Jack oder ihre sich ständig streitenden Eltern Vivienne und Adam. Kay entwickelt sich dabei charakterlich in den knapp drei bis vier Spielstunden weiter als so mancher Protagonist in einem 50 Stunden umfassenden Bollwerk.

Spielerisch stellt Sea of Solitude erfahrene Spieler nur selten vor eine echte Herausforderung. Wir möchten den hohen Grad an Einsteigerfreundlichkeit und an spielerischer Abwechslung herausstellen. Kay bewegt sich auf ihrem Motorboot durch die versunkene Spielwelt umehr. Sobald sie einen ihr bekannten oder für die Geschichte wichtigen Ort bereist, senkt sich in diesem Bereich ohne Ladesequenz der Meeresspiegel und sie darf das Gebiet zu Fuß erforschen. Euer Forscherdrang wird sowohl in dem Boot als auch per pedes dahingehend belohnt, dass ihr etwas über zwei Dutzend Möwen freilassen und eine ebenso große Anzahl an Flaschenpost mit kleinen Ergänzungen zur Story finden könnt. Die Möwen erlauben euch für wenige Sekunden das aktuelle Areal aus einer frei drehbaren Vogelperspektive zu überblicken, um euer weiteres Vorgehen zu planen. Für wichtige Interaktionen werden ständig die passenden Knöpfe eingeblendet, was Gelegenheitsspielern zu Gute kommt.

Sea of Solitude ist allerdings ein lineares Spiel, das auf zwölf fließend ineinander übergehende Kapitel aufgeteilt wurde. Neben der Erkundung und kurzen Zwischensequenzen werdet ihr auch Sprungpassagen und Auseinandersetzungen mit Schattengestalten bewältigen müssen. Der Kampf zwischen Licht und Schatten ist ein zentrales Element in der Story und nimmt auch im Spielgeschehen einen wichtigen Platz ein: Sobald ihr ein Gebiet betretet, herrscht darin in der Regel ein übles Unwetter und ein verführerisches Monster durchkreuzt die See. Habt ihr allerdings die durch Schattenranken dargestellte Verderbnis vollständig beseitigt, erstrahlt die Spielwelt in all ihrer bunten Pracht und die roten halb versunkenen Häuser spiegeln sich im türkisen glitzernden Meereswasser wieder.

 

Die Kämpfe laufen in Sea of Solitude nicht nach dem klassischen Muster eines Actionspiels ab, stattdessen nutzt ihr Kays Gabe Licht zu erzeugen und verwandelt so die Schattenwesen in hilfreiche blaue Begleiter, die euch ähnlich wie Pikmins in der Spielwelt zur Hand gehen und euch dabei helfen, eure Erinnerungen zu reaktivieren. An anderer Stelle müssen wir im tiefsten Winter Eiswände zum Schmelzen bringen, in dem wir ein magisches Schild verwenden und gemeine Hexen in Schach halten müssen. Spannend ist auch die Art, wie Jo-Mei Games die Story in die “Bosskämpfe” verwoben hat und so für packende Situationen sorgt.

Jump’n’Run-Cracks werden mit den Sprungpassagen in Sea of Solitude keine all zu großen Probleme haben, allerdings entsteht durch Spielmechaniken wie Räucherplattformen, die euch nach oben katapultieren, und Gefahren wie der unberechenbare Seegang und das allseits für einen kleinen Snack zu habende Wassermonster sowie dem ausgefeilten Leveldesign und gut austarierten Pacing ein spielerischer Sog, den man sich bis der Abspann über den Bildschirm flimmert kaum entreißen kann.

Da Sea of Solitude von einem relativ kleinen Studio kreiert wurde, ist es nachvollziehbar, dass es nicht frei von Fehlern ist. Diverse Clippingfehler können einen auch in Zwischensequenzen etwas aus der Stimmung reißen, Gegner stehen manchmal regungslos herum oder bleiben stecken. Hinzu kommt, dass die Bildwiederholungsrate gerne in Szenen mit vielen Gegnern oder Objekten auf dem Schirm von 60 auf unter 30 einbricht.

Die Besonderheit auf der PS4 Pro ist hierbei, dass man im Grafikmenü jederzeit zwischen dem Standard- und dem Leistungsmodus wählen kann. Während Sea of Solitude auf dieser Konsole standardmäßig in 4K und 30 Bildern pro Sekunde dargestellt wird (ob nativ oder letterboxed, konnten wir nicht überprüfen), wird im Leistungsmodus die Auflösung auf 1080p reduziert, dafür die Framerate auf 6o FPS (Frames per Second; Bilder pro Sekunde) erhöht. Die Einbrüche sind gegen Ende hin etwas häufiger, stören aber insgesamt nicht all zu sehr den Spielablauf. Visuell überzeugt Sea of Solitude mit einem hübschen Cel Shading-Stil, dessen Kantenschärfe man sogar ständig ändern kann. Die Sichtweite überzeugt und die Farbgebung sorgt für großartige Postkartenmotive, wie ihr den eigens von uns erstellten Screenshots entnehmen könnt.

 

Während die Bildschirmtexte allesamt auf Deutsch verfügbar sind, wurden alle Figuren in den legendären Londoner Pinewood Studios in englischer Sprache von deutschen Sprechern synchronisiert. Der deutsche Akzent ist insbesondere bei der Stimme von Kay deutlich hörbar, was man als charmant oder störend empfinden kann. Keine zwei Meinungen sehen wir hingegen bei der musikalischen Untermalung aus der Feder von dem Komponisten Guy Jackson und der Sängerin Stella Angelika. Der Soundtrack von Sea of Solitude ist derart eindringlich, dass man oftmals schaudert oder sich erwischt, die Melodie mitzusummen. Besonders der Titelsong “I Picture You Before Me” hat Hitqualität und wird hoffentlich ähnliche Popularität wie vergleichbare Videospielhits erlangen.

Im Nachhinein finden wir es extrem schade, nicht mit Cornelia Geppert, dem führenden Kopf hinter dem Spiel, auf der diesjährigen EA PLAY nicht geplauscht zu haben. In Interviews mit ihr liest man, dass Sea of Solitude ihre ganz persönliche Verarbeitung von privater wie beruflicher Einsamkeit geworden ist. Wir wünschen dem Team hinter dem Spiel in jedem Falle gutes Gelingen für das nächste Projekt, denn in ihnen steckt zweifellos eine Menge Potential.

Fazit

Sea of Solitude stellt eine Menge unter Beweis: Spiele aus Deutschland können locker mit der internationalen Konkurrenz mithalten und sind nicht Nischenprodukte. Games mit kurzer Spieldauer und überschaubaren Spielelementen können ein extrem fesselndes Erlebnis bieten und mit ernsthaften Themen sensibel umgehen. Und nicht zuletzt, dass Games-Förderung, auch in Kombination mit traditionellen Publishing-Modellen, in Deutschland ein noch größeres Thema werden muss. Jo-Mei Games hat von dem Medienboard BerlinBrandenburg für ihr nächstes Projekt Sands of Sorrow den größten Löffel aus dem Fördertopf in deren gesamter Historie erhalten und das, obwohl dahinter mit Koch Media ein namhafter Publisher steht.

Das alles muss den Spieler aber gar nicht interessieren. Sea of Solitude ist ein rundes Spiel, indem es sich auf eine überschaubare Anzahl an Charakteren, Arealen und Spielelementen konzentriert und ein großes Problem der modernen Gesellschaft so aufbereitet, dass es sich nicht aufgepfropft, sondern ernsthaft in einem Unterhaltungsprodukt umgesetzt anfühlt, ohne dabei in einer psychologischen Studie zu munden. Da Sea of Solitude allerdings trotz der comichaften Aufmachung wirklich düstere Szenen enthält, wird nicht jeder damit zurechtkommen. Fans von Spielen wie Journey, RiME (XTgamer-Test), Submerged und Bound können bedenkenlos zugreifen. Wir sind bereits darauf gespannt, was sich hinter Jo-Mei Games nächstem Videospiel Sands of Sorrow verbergen wird.

Let’s Play: Kays komplette Reise in zwei Videos